Serie „Club der roten Bänder“ : Sie wollen noch etwas vom Leben
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Bild: Vox
Da dreht der Sender Vox endlich einmal eine eigene Serie, und dann ist die auch noch ergreifend gut: Der „Club der roten Bänder“ kommt bei den Zuschauer bestens an. Das hat seine Gründe.
Freunde sind das Wichtigste auf der Welt. Eltern werden irgendwann zu Randfiguren, die nerven, wenn sie da sind, und die die Wut im Bauch anschwellen lassen, wenn sie immer abwesend scheinen. Die Clique ist, was zählt im Alter zwischen zehn und zwanzig. Das Team, die Bande, die Gang - oder der Club. Die Gang, so erfährt Leo (Tim Oliver Schultz) im Fitnessraum des Krankenhauses, in dem er die Muskeln des Rests seines amputierten Beins trainiert, von dem Langzeitpatienten Benito (Matthias Brenner), hat sechs Mitglieder, mit klar verteilten Rollen. Es gibt den Anführer. Den zweiten Anführer. Den guten Geist, der alles zusammenhält. Den Hübschen. Den Schlauen. Und das Mädchen.
Sechs Kinder und Jugendliche mit unterschiedlichen, schweren Krankheiten. Eine Kinderstation in einem großen Krankenhaus. Ärzte, die allesamt, wie die Erwachsenen überhaupt, bloß Statistenrollen spielen. Bis auf den einen Pfleger, der Bindeglied und ruhender Pol zwischen den Welten ist. Der Junge Hugo (Nick Julius Schuck) liegt nach einem Sprung vom Zehnmeterturm seit zwei Jahren im Koma. Eine Mutprobe, die entsetzlich schiefgegangen ist. Unternommen, weil er, der Außenseiter, dazugehören wollte. Sein Zwischenreich zwischen Leben und Tod ist folglich ein Schwimmbad. Zweimal bekommt Hugo zu Beginn der ersten von Vox eigenproduzierten Serie „Club der roten Bänder“ Besuch im Zwischenreich. Einmal von dem an Krebs erkrankten Jonas (Damian Hardung), als bei dessen Amputation sein Leben auf der Kippe steht, und einmal vom arroganten Alex (Timur Bartels), als dessen Herz stillsteht.
Mehr Drama geht kaum
Die beinahe durchscheinende Emma (Luise Befort) lebt auf der Station für Essgestörte und kämpft mit sich um jeden Bissen. Fehlt noch Toni (Ivo Kortlang), der nach einem Motorradunfall beide Beine gebrochen hat. Im Krankenhaus taucht umgehend ein Mitarbeiter des Jugendamtes auf, denn Toni ist „besonders“, wie sein Opa sagt. „Geistig behindert“, sagt das Jugendamt und setzt einen Prüftermin für die Betreuung fest.
Mehr Drama geht kaum in einer Serie über Jugendliche, die nicht nur von der schwierigen Zeit der Selbstfindung in der Pubertät handelt, sondern die potentiell tödliche Krankheiten und mehr oder minder schwere Behinderungen als Fundament ihrer Erzählung nimmt. Unsentimental, gelegentlich witzig, voller Galgenhumor und ohne die Nöte Heranwachsender zu verraten, bringt „Club der roten Bänder“ tatsächlich eine gänzlich neue Farbe in die Serienlandschaft des deutschen Fernsehens. Sehr emotional und trotzdem fern von Betroffenheitskitsch geht es hier um Anderssein, Außenseitertum und die Freundschaft von sechs Schicksals- und Leidensgenossen, die im Krankenhaus in einer Art geschlossenen Gesellschaft ein auf Leben und Sterben, Gesundheit und Krankheit reduziertes Leben gestalten müssen.
Die roten Armbänder, die Leo als Überlebenstrophäen seiner Operationen am Handgelenk trägt, werden zum Verbindungszeichen der Clubmitglieder. Nicht umsonst erinnert der Titel der Serie an „Der Club der toten Dichter“. Auch „Ziemlich beste Freunde“ kann einem in den Sinn kommen. „Club der roten Bänder“ ist zudem ein Remake der katalanischen Serie „Polseres Vermelles“ von Albert Espinosa (auf dessen Erlebnissen die Serie basiert) und Paul Freixas. Entstanden ist etwas Bemerkenswertes, das sich mit der Bildgestaltung (Kamera Robert Berghoff) und besonders den Songs (Musik Jens Oettrich) wohltuend vom didaktischen Duktus der öffentlich-rechtlichen Serienproduktion abhebt.
Wundern tun sich nur die Erwachsenen
Hier wird, besonders was den Gefühlshaushalt der Jugendlichen angeht, wenig bis nichts erklärt (Buch Arne Nolting und Jan Martin Scharf, Regie Richard Huber, Felix Binder, Andreas Menck und Sabine Bernardi). Dass der „seltsame“ Toni mit dem Komapatienten Hugo einwandfrei kommuniziert, wird gezeigt und hingenommen. Für diese Jugendlichen, die sich ohnehin wie Aliens fühlen, gibt es Seltsameres. Wundern tun sich nur die Erwachsenen. Besonders der krebskranke Leo, der Anführer, ist cool, ohne abgeklärt zu sein. Das Buch schreibt ihm die komplexeste Rolle auf den angegriffenen Leib, und Tim Oliver Schultz spielt sie mit Bravour. Dass es für Leo schlecht ausgehen wird, steht zu vermuten.
Vox zeigt die Serie in Doppelfolgen. Das Dranbleiben lohnt sich. Die Generation, an die sie sich eigentlich richtet, wird sie hoffentlich auf ihren vorwiegend genutzten Kanälen der Mediennutzung zu finden wissen. Am Tag nach der ersten Folge meldet Vox, der „Club der roten Bänder“ haben bei den Zuschauern im Alter zwischen vierzehn und neunundfünfzig Jahren einen Marktanteil von bis zu 11,4 Prozent und insgesamt bis zu 2,46 Millionen Zuseher erreicht. Das müssten den kleinen Sender ermutigen, dem gelungen Beispiel einer eigenen Serie weitere folgen zu lassen.
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