Verschwörungsjournalismus : Ist halt so, ist die Wahrheit!
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Der Verschwörungstheoretiker Ken Jebsen auf einer Kundgebung gegen „Meinungsdiktatur“ Bild: dts Nachrichtenagentur
In Deutschland formiert sich eine Gruppe von Menschen, die überall Lügen sehen. Sie hassen den Westen, misstrauen der Presse, und den Politikern sowieso. Und sie lieben Putin. Wer sind sie?
Nein, Hitler hat sich keine Kugel in den Kopf gejagt damals, ganz locker spazierte er im Dunkeln aus seinem Bunker und setzte sich über ein paar Umwege nach Südamerika ab, das steht da, wo solche Geschichten immer stehen, im Internet. Genauer gesagt auf der Seite der „Staatenlosen“, die mir vom Handydisplay entgegenstrahlt, während ich zu verstehen versuche, was das für drei einsame Menschen sind, neben denen ich am Brandenburger Tor stehe. Vor den Verwaisten ein Transparent mit der Aufschrift „Europa von den Faschisten befreien. Staatenlos in Deutschland“.
Nachdem mich mein Telefon mit noch mehr Verschwörungstheorien verstrahlt hat, begreife ich, dass die Mahnwache der „Staatenlosen“ die falsche Mahnwache ist. Denn ich suche eine ganz andere: Eine Kundgebung, zu der sich Menschen verabreden, die zwar auch den europäischen Faschismus bekämpfen wollen, ihren Einsatz aber als „Friedensbewegung“ verstehen und sich seit dem Beginn der Ukraine-Krise montags zu ihren „Friedensmahnwachen“ verabreden.
Palästinensertuch um den Hals
Blödes Versehen, blöde Verwechslung. Auf der anderen Seite des Brandenburger Tors finde ich die, die ich suchte. Zur Sicherheit trotzdem: „Entschuldigen Sie bitte, ist das die offizielle Mahnwache für den Frieden?“, frage ich eine Frau in grauer Windjacke und altem Palästinensertuch um den Hals. „Ja, schön, dass du da bist.“, antwortet die Windjacke mit dem Palästinensertuch.
Dann wird ein Mann angekündigt, der Photon heißt und Inforap macht. Eine halbe Strophe genügt, um zu verstehen, was Inforap ist: „Ihr korrupten Handpuppen / habt noch immer nichts gelernt / seid von Einigkeit und Recht und Freiheit / meilenweit entfernt.“ Schlimm ist er, dieser Inforap, weil der Mann, der ihn macht, nicht rappen kann - er hetzt nur der Musik hinterher und verschluckt sich am eigenen Atem. Korrupte Handpuppen, das sind Journalisten und Politiker, erklären die nächsten Strophen. „Warum dieser Hass auf die Presse?“, frage ich einen jungen Mann, der viel zu laut „Yeah“ ruft, während Photon noch mehr seiner schiefen Infos zu rappen versucht. „Weil Journalisten alle gekauft sind.“ Woher er das weiß? „Ist halt so, ist die Wahrheit!“
Menschen vom Typ Ist-halt-so-ist-die-Wahrheit gab es schon lange vor diesen neuen Montagsmahnwachen. Die Suche nach der vom Mainstream angeblich unterdrückten Wahrheit hat seit Jahren immer wieder spektakuläre beziehungsweise suspekte Menschen mit spektakulären beziehungsweise suspekten Thesen hervorgebracht, Menschen wie Thilo Sarrazin oder Akif Pirinçci. Seit der Eskalation in der Ostukraine aber werden es immer mehr, die ihre eigene Wahrheit entdecken, wie sie auch die Lügen der anderen entdeckt zu haben glauben.
Blogs unzähliger neuer Wahrheitsmenschen
Die Kritik an Putin, der einfach so, weil er es kann, sich die Krim nahm, katalysierte diese Bewegung der Wahrheitssucher. Mit der Ukraine-Krise kam es erst zu den modernen Montagsmahnwachen. Mit der Ukraine-Krise wurden unzählige neue Blogs unzähliger neuer Wahrheitsmenschen in das Internet hineingeboren. Die älteren Blogs der älteren Wahrheitsmenschen wurden immer beliebter, seit April stiegen die täglichen Aufrufe einiger dieser Seiten um das Zehnfache. Und mit der Ukraine-Krise begannen erst auch entfesselte Leserkommentatoren damit, jeden Artikel, der sich kritisch zu Russland verhält, mit unendlichem Hass zu überschwemmen.