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Fakes zur Ukraine : Perfektion ist Nebensache

Größere Bewegungen sind schwerer zu fälschen: Der echte Wolodymyr Selenskyj am Mittwoch bei der Videokonferenz mit dem US-Kongress. Bild: dpa

Zu Wolodymyr Selenskyj ist ein gefälschtes Video aufgetaucht, zu der Journalistin Marina Owsjannikowa ein gefälschter Twitteraccount. Beides lässt sich erkennen – unter Bedingungen, die in der Ukraine nicht immer gegeben sind.

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          Gesicht und Körper scheinen in Farbigkeit und Helligkeit aus verschiedenen Aufnahmen zu stammen, der Klang der Stimme hat etwas Künstliches: Das gefälschte Video, in dem der ukrainische Präsident angeblich die Soldaten seines Landes auffordert, die Waffen niederzulegen, ist auch für Laien leicht zu enttarnen. Am Mittwoch war das Video zunächst auf der Nachrichten-Website Ukraine 24 aufgetaucht, nachdem diese angeblich von Hackern angegriffen worden war. Anschließend hatte es sich im Internet verbreitet, auch in den Meta-Diensten Facebook und Instagram. Dort war es allerdings nur für kurze Zeit zu sehen: „Wir haben dieses Video schnell überprüft und entfernt, da es gegen unsere Richtlinie gegen irreführende, manipulierte Medien verstößt“, verkündete Meta-Sicherheitschef Nathaniel Gleicher am Mittwochabend auf Twitter.

          Fridtjof Küchemann
          Redakteur im Feuilleton.

          Im „Transparency Center“ zählt Facebook ein Video zu den „Fehlinformationen, die wir entfernen“, wenn die Produktion als sogenannter Deepfake mittels Künstlicher Intelligenz „Inhalte mit einem Video verschmilzt, kombiniert, ersetzt und/oder überlagert, wodurch ein Video entsteht, das authentisch erscheint“. Ob es sich im Fall des gefälschten Selenskyj-Videos tatsächlich in diesem engeren Sinn um einen Deepfake handelt, ist nicht so leicht erkennbar. Doch auch, wenn ein Video „über Anpassungen für Klarheit oder Qualität hinaus in einer Weise bearbeitet oder synthetisiert“ wurde, die „eine Durchschnittsperson wahrscheinlich dazu verleiten würde, zu glauben, dass eine Person in dem Video Worte gesagt hat, die sie nicht gesagt hat“, wird es entfernt.

          Auch im Fall von Marina Owsjannikowa ist diskutiert worden, ob ihr aufsehenerregender Auftritt im russischen Staatsfernsehen gefälscht oder zumindest inszeniert gewesen sein könnte. Die Redakteurin hatte sich am Montagabend in den Hauptnachrichten des Ersten Kanals mit einem Protestplakat hinter die Nachrichtensprecherin gestellt. Es trug die Aufschrift „Stoppt den Krieg. Glaubt der Propaganda nicht. Hier werdet ihr belogen“. Die Journalistin rief dazu mehrmals „Nein zum Krieg“. Es gebe keine Live-Sendung der Nachrichten im russischen Fernsehen, wurde behauptet, die Inszenierung sollte zeigen, dass westliche Sorgen um Zensur und Unterdrückung in russischen Medien überzogen seien. Die Geldstrafe von 30.000 Rubel (rund 265 Euro), zu der Owsjannikowa zunächst verurteilt wurde, scheint diese Behauptung zu stützen. Das Strafverfahren gegen sie steht allerdings noch aus. Anfang März hatte das russische Parlament für eine Gesetzesänderung gestimmt, die bis zu 15 Jahre Haft vorsieht, wenn in der Berichterstattung über den Krieg gegen die Ukraine Wörter wie „Angriff“, „Invasion“ und „Kriegserklärung“ verwendet werden.

          Kurz nach ihrer Aktion hatte das Twitter-Handle @MarinaOvsy Tausende neue Follower gewonnen. „Ich bedauere nicht, was ich getan habe“: Äußerungen wie diese waren hier auf Englisch unter einem Bild der Redakteurin zu finden, das einer zusätzlich zu ihrer Protestaktion im Fernsehen veröffentlichten Videobotschaft entnommen worden ist. „Welche Konsequenzen auch immer: ich werde sie tragen wie eine Auszeichnung.“ Das Profil wurde erst in diesem Monat eingerichtet und ist nach Angaben von Twitter bereits am Dienstag wieder abgeschaltet worden. In der kurzen Phase seiner Existenz hat es allerdings nicht nur einige Aufmerksamkeit auf sich gezogen, sondern ist auch unter verschiedenen Namen geführt worden. So ist es nach Recherchen des NBC-News-Journalisten Matthew Mulligan unter anderem angeblich vom amerikanischen Journalisten Juan Arredondo betrieben worden, der am Sonntag in der Ukraine verwundet worden war. Sebastian Erb berichtet in der „taz“, das der Account zunächst unter dem Namen „Anonymous Ukraine“ lief. Offensichtlich hatte es unter den gerade vielgesuchten Namen Popularität gewinnen sollen, die später zur Verbreitung andere Botschaften hätte genutzt werden können.

          So offensichtlich die genannten Fälschungen – das Selenskyj-Video wie das Owsjannikowa-Profil bei Twitter – bei genauerem Hinsehen auch waren: Die Erkenntnis, dass den hier verbreiteten Informationen nicht zu trauen ist, hat zwei Voraussetzungen: Sie braucht Zeit und ein stabiles Internet. Beides ist gerade dort knapp, wo Desinformation zurzeit am empfindlichsten wirken kann. Auf sie hereinzufallen, nach ihr zu handeln, sie weiterzuverbreiten ist indes eine Sache von Sekunden und auch unter widrigen Bedingungen möglich.

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