Europas Datenschutzreform : Die Informationsfreiheit und das Prinzip Big Data
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Vor vier Jahren begannen die europäischen Justiz- und Innenminister eine Datenschutzreform. Ein Beschluss ist nicht in Sicht. Bild: dpa
Brauchen wir in Europa eine Grundverordnung zum Datenschutz oder brauchen wir sie nicht? Die Bundesregierung scheint sie für überflüssig zu halten. Die Frage ist: Warum?
Sind Sie bei Youtube schon einmal über Pornographie gestolpert? Wahrscheinlich nicht. Jedes Video, das Google anzeigt, hat eine Qualitätskontrolle durchlaufen. Ein Roboter, der 75 Stunden Filmmaterial pro Minute analysiert, sucht nach nackter Haut und Bildern und Musik, die Verlage und Verleihe nicht kostenlos im Netz hergeben wollen. Google hält sich an eigene Sittlichkeitsregeln, genügt den Ansprüchen anderer Unternehmen und achtet Gesetze. „Google nimmt nach rechtlichen und moralischen Maßstäben Einfluss auf Suchergebnisse.“ Googles Behauptung, „kein publizistisches, sondern technisches Medium“ zu sein, beantworte die wichtige Frage nach Googles Verantwortung nicht. Das sagte der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar am Freitag bei einer Datenschutz-Konferenz in Berlin.
In der Vergangenheit kam niemand ernsthaft auf die Idee, Google Zensur zu unterstellen, gegen das Unternehmen ein „Recht auf Wissen“ durchzusetzen oder „Informationsfreiheit“ einzuklagen. Doch plötzlich stehen genau diese Forderungen im Raum - erhoben werden sie von Google selbst. Per Meyerdierks, Justitiar von Google Deutschland, sagte im Streitgespräch mit Schaar, es gebe ein „Recht auf Auffinden von Informationen“. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, die spanische Datenschutzbehörde habe Google zu Recht aufgefordert, nichtaktuelle Informationen zu einem nichtprominenten Namen aus Suchergebnislisten zu löschen, legte die Konfliktlinien offen.
Google gibt sich überrascht
Auch Niko Härting, Rechtsanwalt und Moderator des Gesprächs, sah „die Informationsfreiheit im Urteil unterbelichtet“. Es geht nun um Grundsätzliches, um Privatsphäre gegen Informationsfreiheit; Grundrechte gegen unternehmerische Freiheiten. Das Urteil des EuGH hat eine vor vier Jahren begonnene Datenschutzreform in Europa zu ihren Ursprüngen zurückgeführt. Michael Ronellenfitsch, der hessische Datenschutzbeauftragte, sagte in dieser Woche, dass nach dem Urteil die angestrebte europäische Datenschutz-Grundverordnung nicht mehr benötigt werde. Das begrüßten die Mitglieder des Bayreuther Arbeitskreises für IT-Recht, die das Treffen veranstalteten. Das Urteil zeige, hieß es einhellig, dass die vor neunzehn Jahren verabschiedete europäische Datenschutzrichtlinie auch im Internetzeitalter anwendbar sei.
So sieht es auch Google. Per Meyerdierks gab die Überraschung des Unternehmens preis: Zwar sei absehbar gewesen, dass die europäischen Gesetze irgendwann gegen sein Unternehmen angewendet würden, „dass es so schnell ging, war aber nicht abzusehen“. Diese Überraschung wiederum gelte nun nicht nur für Google, sagte daraufhin Schaar: „Eine Vereinheitlichung des europäischen Rechtsrahmens bleibt dringend notwendig.“ Tatsächlich sei es so: Der EuGH entschied in einem individuellen Fall. Jeder weitere müsste abermals vom EuGH entschieden werden. Ob für Google in Spanien spanisches Recht gilt, weil der Kläger Spanier ist oder Google, anders als beispielsweise Facebook, versäumte, eine europäische Hauptniederlassung beispielsweise im von IT-Unternehmen beliebten Irland zu eröffnen, ist juristisch ungeklärt. Welche Sanktion dem Urteil des EuGH folgt, ist ebenso nicht geregelt, die Richtlinie sieht keine vor.
Das Problem beschreibt Schaar wie der - hier nicht eingeladene - grüne Europaparlamentarier Jan Philipp Albrecht, der die Ausarbeitung der Datenschutz-Grundverordnung im Europäischen Parlament organisierte: Das Urteil zeige die „große Rechtsunsicherheit“ in Europa auf. Vor vier Jahren einigten sich Europas Politiker darauf, ein europaweit einheitliches Datenschutzgesetz auf den Weg zu bringen. Vor zweieinhalb Jahren hatte die Europäische Kommission ihren Vorschlag vorgelegt. Dann vermittelte Albrecht zwischen den Parteien im Parlament, seit Jahresanfang hat auch das Europaparlament seinen Vorschlag. Nun herrscht Stillstand. Die dritte Partei - die nationalen Regierungen im Ministerrat - hat sich bis heute nicht auf ihren Vorschlag geeinigt. Man hänge mit 500 offenen Fragen auf der Arbeitsebene fest, heißt es über die vertraulichen Verhandlungen. Den Trilog, in dem Kommission, Parlament und Ministerrat letztlich das Gesetz schreiben, wird es absehbar nicht geben.