TV-Voyeurismus : Geschichten aus der Gruft zum Gruseln
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Wenn die Möbelshowmacher von RTL kommen, sieht es aus wie der Angriff der Killerspinnen. Jede Verfremdung ist recht, um die betroffenen Mieter vorzuführen. Bild: RTL
Mit Müllbildern aus Messie-Wohnungen erzielen Privatsender hohe Quoten. Insbesondere der „Einsatz in 4 Wänden“ von RTL stellt Menschen aus und demütigt sie. Es ist Fernsehen für Voyeure.
Ein paar Wochen nach der Sanierung ist Tine Wittler zur Kontrolle gekommen. Ihr Team hatte das Haus eines Rentnerpaars entmüllt, halb abgerissen, wieder aufgebaut und neu eingerichtet. Tine Wittler hat zum Schluss die Kissen aufgeschüttelt und einen weißen Teppich ins Wohnzimmer gelegt. Und jetzt?
Jetzt ist der Teppich ganz dreckig. In Wittlers schöner Küche steht ein Haufen Zeug herum. Die Blumen hängen vertrocknet in der Vase. Überall stapelt sich Wäsche. Der Treppenlift wird von den beiden Fünfundachtzigjährigen beharrlich ignoriert. Und Frau D. schläft wieder auf dem Sofa anstatt in dem kuschelrosa dekorierten Bett, das sie ins Schlafzimmer gestellt bekommen hat. "Unten fühl ich mich halt wohler", erklärt sie. Tine Wittler schüttelt den Kopf. "Man muss ja Angst haben, dass das mit dem Müll wieder losgeht", sagt die RTL-Einrichtungsexpertin, bringt die Kissen in Ordnung, stellt neue Blumen in die Vase und geht. Sie war maßlos enttäuscht: weil das natürlich eine Unverschämtheit ist, dass so ein Rentnerpaar sich weigert, seine Gewohnheiten zu ändern, obwohl das Fernsehen alles vorbereitet hat.
Mehr als dreieinhalb Millionen Menschen sahen im vergangenen Jahr bei "Einsatz in 4 Wänden" die Folge "Das Messie-Museum". Wegen des großen Erfolgs hat RTL seine frühere Einrichtungsshow zur Geisterbahn umgebaut. Anstatt Kinderzimmer mit Glitzerbildern aufzumöbeln, werden Zuschauer in "Die Höllenhütte des Bastel-Opas" und "Die Gruselgruft der Messie-Mutter" entführt.
Wedigo von Wedel hält diese Art Fernsehen für menschenverachtend. Er sagt: "Ein Mensch lässt sich leider nicht so leicht wieder aufräumen." Von Wedel ist Geschäftsführer beim Münchner H-Team, einem Verein, der sich um "Bürger in Not" kümmert. Zum Beispiel solche, die unter dem sogenannten Messie-Syndrom leiden, also "desorganisiert" wohnen, wie der Sozialarbeiter das nennt. Das Verhalten ist als Zwangsstörung anerkannt, aber kaum erforscht. Fest steht nur: Das Chaos in der Wohnung der Betroffenen ist oft nicht das zentrale Problem. "Wer in seine Wohnung kommt, kommt im wahrsten Sinne des Wortes auch zu sich", sagt von Wedel. "Messies sind nicht gern bei sich oder laufen sogar regelrecht vor sich davon. Deswegen wird häufig, auch unbewusst, eine äußere Entsprechung kreiert."
„Die Leute werden richtig beiseitegeschubst“
Nur für die interessiert sich das Fernsehen. In aller Kürze wird der Verlust eines Lebenspartners abgehandelt, wichtiger sind die Bilder riesiger Müllberge, verschimmelter Lebensmittel, toten Ungeziefers und von Gerümpel. Ist die ausführliche Dokumentation des Unrats abgeschlossen, werden die Bewohner fortgeschickt. Dann kommt das Räumkommando, kippt den Müll samt Einrichtung in Container und macht Platz, damit alles neu aufgebaut werden kann.
"Die Leute werden zum Teil richtig beiseitegeschubst", sagt Jürgen Bernsen von Frei-Raum, einem Team, das im Berliner Bezirk Pankow Menschen mit Messie-Neigung hilft. "Bei uns funktioniert das völlig anders: Wir arbeiten Hand in Hand mit den Leuten zusammen, und jeder entscheidet selbst, was er wegschmeißt. Dadurch lernen die Betroffenen überhaupt erst, wie man die Wohnung besser strukturiert." Das geht nur in kleinen Schritten. Bis zu einem Jahr lang ist Bernsen in manchen Wohnungen aktiv. RTL nimmt sich zwei Wochen. H-Team-Geschäftsführer von Wedel hält solche Hauruck-Aktionen für schädlich: "Weil sich die Betroffenen noch mehr davon entfernen, dass sie eigentlich tiefsitzende traumatische Erlebnisse haben: Demütigungen, mangelndes Selbstwertgefühl, fehlendes Vertrauen in Mitmenschen. All das müssen die Leute nachher mit sich selbst ausmachen."