TV-Kritik: Sandra Maischberger : Kulturwandel in der Rentendebatte
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Sandra Maischberger Bild: dpa
„Die Rente ist ganz sicher ein Streitthema“, meint Sandra Maischberger in ihrer Eingangsmoderation. Nur worum geht eigentlich der Streit?
Katharina Nocun ist im Jahr 1986 geboren worden und engagiert sich heute politisch bei den Piraten. Carsten Linnemann war in diesem Jahr noch auf der Grundschule und ahnte damals sicherlich noch nichts von seiner späteren Tätigkeit: Er ist CDU-Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender der Mittelstandsvereinigung der Union. Im gleichen Alter wie Linnemann ist Christine
Ostermann, Unternehmerin aus Hamm, und bis 2012 Vorsitzende eines Unternehmerverbandes. Norbert Blüm war in dieser Zeit Bundesminister für Arbeit und Soziales. 1986 hatten wir einen Rentenversicherungsbeitrag von 19,2 % - und er war damit höher als heute.
Ein Jahr später erschien eine vom „Verband der Rentenversicherungsträger“ in Auftrag gegebene Studie des Schweizer Prognos-Instituts. Es kalkulierte damals in einem Szenario ohne Rentenreformen für das Jahr 2030 einen Beitragssatz von 41,7 %. Erst seitdem gibt es übrigens dieses mittlerweile magische Datum 2030 in der Rentenpolitik. Sie alle waren gestern Abend bei Sandra Maischberger zu Gast. Blüm wird diese Studie kennen, wie auch der SPD-Sozialpolitiker Karl Lauterbach: Sie war handlungsleitend für die Rentenpolitik der späteren Jahrzehnte gewesen. Für die Jüngeren ist das wahrscheinlich bloße Geschichte, kaum relevant für ihre heutiges Leben. Aber die Studie veränderte das Denken in Deutschland und damit auch das kulturelle Klima. Sie sind damit sprichwörtlich aufgewachsen und das kam in dem Titel der Sendung zum Ausdruck: „Das große Rentengeschenk: Kassieren die Alten die Jungen ab?“
Operation gelungen, Patient tot
Erst nach 1987 hat sich in der Rentendebatte ein Tonfall durchgesetzt, der in der Terminologie des Generationenkonflikts geführt wird. Bei Frau Nocun und Frau Ostermann war das, trotz der Unterschiedlichkeit der Positionen, genauso zu spüren wie bei Linnemann. Die Rentenversicherung gilt nicht mehr als Errungenschaft zur Absicherung eines Lebensrisikos. Ganz im Gegenteil.
Die Diskussion der vergangenen 30 Jahre hat das Vertrauen der Jüngeren offenkundig zerstört. Insofern waren die besten Momente der Sendung, wenn Blüm und Lauterbach dieses Vertrauen zu begründen versuchten – und so gegen die Folgen ihrer eigenen Politik ankämpften. Denn Union und SPD haben letztlich die Weichen für die Rentenreformen gestellt. Kurz gesagt: Sie haben das Rentensystem zwar ökonomisch saniert, aber sozialpolitisch zugleich mit dem Vertrauensverlust ruiniert. Operation gelungen, Patient tot.
Blüm kritisierte eine in den vergangenen Tagen veröffentlichte Studie der Bertelsmann-Stiftung über „Familien in der gesetzlichen Rentenversicherung“. Die Stiftung müsse wohl eine Verbindung zum Himmel haben, um heute schon die Entwicklung bis zum Jahr 2060 vorhersagen zu können. Sie sieht – für 2060 – einen Beitragssatz von 28 % voraus und für 2030 von etwa 22 %. Wir erinnern uns an die Prognos-Studie von 1987 – und hier kommt hier das ganze Elend der vergangenen Jahrzehnte zum Ausdruck.
Das Rentensystem hat sich als extrem anpassungsfähig erwiesen. Denn in der Differenz zwischen den 41,7 % von 1987 und den 22 % von heute finden die Rentenreformen als Kürzung von Rentenansprüchen ihren prägnanten Ausdruck. Die größte Lüge in der Rentendebatte ist nämlich das Gerede von der „Tatenlosigkeit“ der Politik in den vergangenen Jahrzehnten. Sie hat des Guten, wenn man denn Rentenkürzungen so bezeichnen will, zu viel getan.
Eine exemplarische Frauenbiografie
Das wurde an dem Fall von Karin Baur deutlich. Die Rentnerin, Jahrgang 1941, ist repräsentativ für eine Frauenbiographie dieser Generation. Sie war Mutter, Hausfrau und die klassische Zuverdienerin zum erwerbstätigen Ehemann. Ihre eigenen Rentenansprüche in Höhe von 148 € begründen sich lediglich aus der Anrechnung von Kindererziehungszeiten. Ihr Mann hat einen Rentenanspruch von 944 €. Frau Baur ist exemplarisch für die sogenannte Mütter-Rente.