TV-Kritik: Maybrit Illner : Riesters Feinde siegen im Gladiatorenring
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Maybrit Illner Bild: Picture-Alliance
Fundamentalkritiker an den Rentenreformen des vergangenen Jahrzehnts gewinnen die Oberhand. Das Publikum lässt sich von den Tiraden gegen Riester hinreißen.
In der aktuellen Debatte über Renten und kapitalgedeckte Vorsorge gibt es zwei Argumentationsstränge: Die Fundamentalkritiker behaupten, die Riester-Rentenreform von 2001 sei gänzlich gescheitert, eine vollständige Rückkehr zur Umlagefinanzierung sei erstrebenswert, dann könne das Rentenniveau auf heutigem Stand oder gar dem Level von 2001 stabilisiert werden. Hier trifft sich eine Allianz der Freunde staatlicher Lösungen von weit rechts (Horst Seehofer) bis weit links (Sahra Wagenknecht).
Auf der Gegenseite stehen die moderaten Kritiker, die vor allem wegen der derzeitigen Niedrigzinsphase die geförderten Riester-Verträge für weniger ergiebig halten, als man sich bei der Reform vor 15 Jahren gewünscht hätte. Zu dieser Gruppe zählen weite Teile der großen Koalition. Glühende Verfechter der Reformen gibt es kaum noch: Walter Riester und einige Versicherungsmanager zählen dazu – wobei auch diese die Verträge für bürokratisch aufgeblasen halten.
Paritätisch besetzte Talkrunde
Maybrit Illner versammelte in ihrer wie immer rasend schnellen und reichlich atemlosen Talkrunde am Donnerstagabend zwei Vertreter der Fundamentalopposition: Sahra Wagenknecht von den Linken und Axel Kleinlein vom Bund der Versicherten, eine vehemente Kapitalismus- und Neoliberalismuskritikerin und einen Finanzmathematiker mit viel Verständnis für die Tücken von Altersvorsorgeverträgen. Auf der Gegenseite diskutierten Carsten Linnemann, als Vorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der Unionsparteien ein Freund privatwirtschaftlicher Ansätze, und Michael Heise, Chefvolkswirt der Allianz und damit des Marktführers für private Rentenversicherungen in Deutschland.
Am Applaus der Studiogäste wurde schnell deutlich, wie die Sympathien verteilt waren – und warum die Fundamentalkritik so gut verfängt. Die Deutschen haben nie so recht ihren Frieden mit der Riester-Reform gemacht. Dass sie die Lohnnebenkosten stabilisiert hat und damit einen nicht unerheblichen Beitrag zum deutschen Jobwunder seit 2005 geleistet hat, wird ihr nicht in Rechnung gestellt. In der wirtschaftspolitischen Debatte setzt sich mehr und mehr der Glaube durch, ein stabiler Arbeitsmarkt komme automatisch und Wehklagen über mögliche Beitragsanpassungen – insbesondere von Arbeitgebern und der jüngeren Generation – seien unzulässiges Geheule auf den billigen Plätzen.
Beiträge würden steigen
Dabei zeigen ökonomische Vorausberechnungen des Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle, dass eine Stabilisierung des Rentenniveaus auf heutigem Stand im Jahr 2040 zu Rentenbeiträgen von 24 Prozent und im Jahr 2050 von 29 Prozent führen würden. Heftige Lasten werden das für Menschen sein, die um die Jahrtausendwende geboren sind und dann neben ihren eigenen Kindern auch noch mit einem Drittel ihres Gehalts die Renten der Ruheständler finanzieren müssen.
Sahra Wagenknecht kann das alles nicht nachvollziehen. Sie sagt, dass die steigende Produktivität seit jeher eine höhere Lebenserwartung aufgefangen hat – dass die Bevölkerung aber erstmals (außer in Kriegszeiten) signifikant schrumpfen wird, klammert sie aus. Die Zerstörung der Rente sei mit den Namen der SPD-Minister Riester und Müntefering verbunden, beklagt sie. Die Sozialdemokraten sollten ihren Fehler eingestehen und die gesetzliche Rente stärken. Riester-Sparer seien die Goldesel der Versicherungswirtschaft, formuliert sie griffig. 35 Milliarden Euro an Zulagenförderung seien an eine Branche verschenkt worden und hätten Finanzvertrieblern à la Carsten Maschmeyer einen frühzeitigen auskömmlichen Lebensabend finanziert. Dass sie auch hübsche Renditen für heutige Ruheständler ermöglicht haben – geschenkt!
Muss man erst 100 werden?
Axel Kleinlein will sich nicht so klar wie Wagenknecht für eine Rückkehr zur Umlagefinanzierung bekennen. Die demographische Lücke erkennt er an – und spricht auch der Kapitaldeckung ihre Berechtigung zu. Nur haben es die Versicherungsunternehmen aus seiner Sicht ganz falsch gemacht. Intransparente Verträge mit unklaren Zahlungsversprechen, dazu Sterbetafeln, die dafür sorgen, dass erst Hundertjährige mit einer angemessenen Rendite herauskämen. Riester sei gescheitert, die Politik merke das gerade und sei überfordert damit, sinnvollere Lösungen anzubieten. Immerhin habe die hessische Landesregierung mit ihrem Vorschlag einer Deutschland-Rente einen diskutablen Verbesserungsvorschlag geliefert.
Zwei Betroffene bestätigen die Vorurteile: Eine Reinigungskraft beschreibt, wie sie von 1100 Euro Netto gerade so über die Runden kommt. Wenn sie indes in einigen Jahren in den Ruhestand gehe, werde sie mit ihren Freundinnen nicht mehr zum Chinesen oder Italiener essen gehen können. Ein junger Bauingenieur ärgert sich darüber, dass seine Riester-Beiträge wegen der Niedrigzinsphase nicht mehr in Aktien, sondern in mies verzinste Rentenpapiere investiert werden.
Schlagabtausch vermieden
An dieser Stelle hätte die Moderatorin zum Verständnis beitragen können, wenn sie mit ihren kompetenten Experten auf dem Podium die hohen Kosten von Garantieversprechen thematisiert hätte. Denn gerade das Versprechen, dass der Sparer zu Beginn der Rentenphase mindestens so viel Kapital zur Verfügung haben muss, wie er auch durch Beiträge eingezahlt hat, zwingt die Finanzunternehmen zu festverzinslichen Investitionen mit geringen Renditeaussichten. Ansonsten aber geht Illner die Moderation wie gewohnt locker von der Hand. Auch in dieser Sendung wäre manchmal weniger mehr gewesen. Was sie inzwischen nahezu komplett vermeidet, ist der direkte Schlagabtausch von Gesprächspartnern, bei denen Argumente der einen Seite auch mal in Frage gestellt werden könnten.
Die Kritiker haben in der Sendung – an der Publikumsreaktion lässt es sich feststellen – die Oberhand. Verteidiger der rot-grünen Rentenreform haben es schwer: Michael Heise schlägt als Vertreter der Finanzlobby ohnehin das Misstrauen entgegen. Dabei macht er seine Sache gar nicht schlecht. Mal argumentiert er seiner Profession gemäß eher volkswirtschaftlich: So beschreibt er als einziger der Teilnehmer das Problem steigender Lohnnebenkosten, wenn man die staatliche Rente stärken wollte. Er setzt die 3 Milliarden Euro Riester-Zulage sinnvollerweise in Bezug zum staatlichen Rentenzuschuss von mehr als 80 Milliarden Euro im Jahr. Mal argumentiert er eher auf Produktebene und schreibt dem Gesetzgeber den Fehler zu, die Verträge bürokratisch aufgeladen zu haben.
Nuancen gehen unter
Am schwierigsten haben es in der emotional aufgeladenen Debatte diejenigen, die versuchen, eine ausgewogene Position zu finden. Denn sie lässt sich nicht in so schöne Schlagwörter wie „Totalversagen“ und „Scheitern“ oder Begriffen wie „das Schicksal von Millionen Menschen“ (Wagenknecht) kleiden. Carsten Linnemann versucht, einige Argumente dieser Mittelposition stark zu machen: Finanzvermittler kassierten in den ersten Jahren die komplette Abschlussprovision und verließen dann die Kunden, wenn die Verträge mehr Beratung verlangten. Es sei falsch, dass privat angespartes Geld auf die staatliche Grundsicherung im Alter angerechnet werde. Um das leicht (von 3 Prozent auf 5 Prozent der Rentner) ansteigende Problem der Altersarmut zu lindern, müsse man den Bedürftigen gezielt helfen, statt das Rentenniveau für alle zu heben.
Mit solchen differenzierten Beiträgen dringt er im Gladiatorenring einer Fernseh-Talkshow erkennbar weniger durch als Fundamentalkritikerin Wagenknecht. Im Deutschen Bundestag dürfte diese nuancierte Sichtweise wahrscheinlich dennoch eine Mehrheit finden.
Routiniert, wie man es von ihr gewohnt ist, aber so uninspiriert wie es bei einer wöchentlichen Talkshow zu den großen Debattenthemen in Deutschland fast zwangsläufig scheint, moderiert Maybrit Illner auch diesmal auf die 23.15 Uhr zu. Markus Lanz übernimmt mit seinem Boulevard-Talk, und die Kritiker der Rentenreformen haben doch zumindest wieder einiges Futter erhalten, um zu behaupten, dass eine Rückkehr zum Rentenniveau der Zeit vor der Schröder-Regierung doch eigentlich niemandem weh täte. Der öffentliche Diskurs in Deutschland hat sich gedreht. Die Errungenschaften ab 2001 werden für selbstverständlich genommen, die Seehofer-Polemik verfängt.