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TV-Kritik Maischberger : Was macht Politik?

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Sandra Maischberger (Mitte) und ihre Gäste, unter anderem Uschi Glas und der Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge (ganz links) Bild: WDR/Max Kohr

Üblicherweise trifft Politik Entscheidungen, die durch eine Wahl legitimiert worden sind. Gestern Abend wurde deutlich, warum diese scheinbare Selbstverständlichkeit nicht mehr selbstverständlich ist. Beim Wahlergebnis wird das Spuren hinterlassen.

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          Viele Wähler wissen offensichtlich immer noch nicht, wen sie wählen sollen. Gestern Abend hatte Sandra Maischberger allerdings sechs Gäste eingeladen, bei denen das anders ist. Parteien bemühten sich schon immer um prominente Wahlhelfer. So unterstützt die Schauspielerin Uschi Glas schon seit Jahrzehnten die Unionsparteien, genauso wie ihre Kollegin Iris Berben die SPD. Natürlich wählt niemand eine Partei, weil sich eine Schauspielerin für sie ausspricht. Die Parteien erhoffen sich Aufmerksamkeit für ihre Kampagnen, ohne die die Mobilisierung der eigenen Wähler nicht gelingen kann. Zudem lässt das Engagement von Prominenten Rückschlüsse auf den jeweiligen Zeitgeist zu. Frau Glas schilderte das in einer Nebenbemerkung. Ihr Engagement für die Union war in den 1970er Jahren die große Ausnahme im deutschen Kulturbetrieb. Er stand zumeist auf Seiten der Sozialdemokratie. Damit war es aber in den späteren Jahrzehnten vorbei. Parteipolitisches Engagement galt in Zeiten der Politik- und Parteienverdrossenheit als unmodern, zudem als potentielles Karrierehindernis. Schließlich macht man sich mit politischen Meinungen angreifbar.

          AfD in Bielefeld

          Das ändert sich in Zeiten politischer Polarisierung. Der Schauspieler Clemens Schick war im vergangenen Jahr in die SPD eingetreten. Er will nicht nur abstrakt über „die Politik“ reden, sondern sieht sich in der Verantwortung für diese Demokratie. Dann reicht es nicht mehr, sich nur als deren Konsument (oder als ihr nörgelnder Zaungast) zu verstehen. Diese Mentalität war das Ergebnis eines neoliberalen Politikverständnisses. Es begriff sich als ordnungspolitischer Appendix von Marktprozessen. Wenn Politik aber nichts mehr zu entschieden hat, muss sich niemand über Verdrossenheit wundern. Sie stellt sich damit selbst zur Disposition.

          Offensichtlich kann davon nicht mehr die Rede sein. Man musste gestern Abend nur dem Kölner Politkwissenschaftler Christoph Butterwegge und dem langjährigen „Focus“-Chefredakteur Helmut Markwort zuhören, um die ideologischen Differenzen zwischen einem liberalen und einem sozialistischen Gesellschaftsverständnis kennenzulernen. Daraus ergeben sich konträre Politikentwürfe, die den Wähler klare Alternativen bieten. Markwort ist seit dem Jahr 1968 in der FDP und Butterwegge ein Unterstützer der Linkspartei. Der Schauspieler Tayfun Bademsoy erinnerte dagegen daran, warum die Grünen ihren Platz in dem klassischen Parteiensystem gefunden haben. Sie durchbrachen nicht nur mit dem Umweltthema die alten sozioökonomischen Konfliktlinien. Zudem waren sie die erste Partei, die Einwanderer als Teil der deutschen Gesellschaft verstanden. Bademosy kam im Jahr 1969 als Elfjähriger mit seinen Eltern nach Deutschland. Er berichtet aber auch darüber, wie sich das gesellschaftliche Klima in den vergangenen Jahren verändert hat. Seine Kinder bekamen zunehmend ein vorher nicht gekanntes Gefühl vermittelt – nämlich nicht mehr dazu zu gehören. Warum das so ist, machte Hans-Hermann Gockel deutlich. Wenn er in Bielefeld unterwegs ist, meint der frühere Nachrichtenmoderator mittlerweile, sich „in Arabien oder Afrika“ aufzuhalten. Gockel unterstützt in diesem Wahlkampf die AfD.

          Tücken des Konstruktivismus

          An diesem Punkt wurde es spannend. Butterwegge brachte in seiner Replik ein Beispiel, das einem Konstruktivisten wie dem im Jahr 2007 verstorbenen Paul Watzlawick alle Ehre gemacht hätte. Für Butterwegge können Frauen nicht Auto fahren. Neulich sah er eine Frau, die einen Unfall verursacht hatte. Allerdings hätte er damit lediglich seine Vorurteile bestätigt, weil Butterwegge die von Männern verursachten Unfälle gar nicht erst wahrnehme. Gockel sieht in Bielefeld entsprechend nur noch Araber und Afrikaner, so das konstruktivistische Argument des Politikwissenschaftlers. Dessen Wahrnehmung ist entsprechend konditioniert. Man könnte das allerdings auch anders betrachten. Bielefeld wäre in dieser Sichtweise eine moderne Metropole in einer globalisierten Welt. Der Freihandel findet bei Linken wie Butterwegge in dieser globalisierten Welt nicht die gleiche Wertschätzung. Womit sie andererseits wieder mit dem derzeitigen Hausherrn im Weißen Haus in Washington auf einer Linie liegen. Aber wir wollen das nicht unnötig verkomplizieren. Wahrnehmungsmuster dienen in allen politischen Lagern zugleich der Komplexitätsreduktion. Dann darf man peinliche Übereinstimmungen durchaus ignorieren.

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