TV-Kritik: Maischberger : „Islamismus eine Entartung des Islam“
- -Aktualisiert am
Für Frau Kelek ist der Islamismus eine Entartung des Islam. Bild: Fricke, Helmut
Sandra Maischberger widmet sich den Gefahren islamistischer Gewaltakte in Europa. Migranten in Deutschland müssten sich anpassen, doch dürfe nicht jeder Kleindiebstahl als Signal eines Kulturkrieges gelten.
Talkmasterin Sandra Maischberger moderiert in ihrer ersten Dienstagspätabendsendung des neuen Jahres ein äußerst illustres, internationales Quintett, das aus aktuellem Anlass die Gefahren islamistischer Gewaltakte in Europa, aber auch der neuen radikalen Rechten in Deutschland und Frankreich einzuschätzen und miteinander in Beziehung zu setzen versucht.
Wobei Maischberger die erste Stimme dankenswerterweise dem aus Paris eingeflogenen deutsch-französischen Publizisten Alfred Grosser zuweist, der mit intellektueller Noblesse darauf hinweist, dass islamistische Terroristen zwar, wie jetzt bei „Charlie Hebdo“, Christen und Juden umbrächten, zahlenmäßig jedoch hunderte Male mehr muslimische Glaubensbrüder, was in der westlichen Wahrnehmung leider untergehe. Der so brillante wie liebenswürdige Grosser beklagt auch die in Frankreich herrschende Doppelmoral, die sich darin niederschlägt, dass Anträgen jüdischer Einrichtungen auf Polizeischutz immer stattgegeben, bei muslimischen jedoch, die sie jetzt wegen der antiislamischen Übergriffe gestellt hätten, allesamt zurückgewiesen worden seien.
Von Grosser, der als Jude zugleich den Antisemitismusdiskurs kritisiert, erfährt das deutsche Publikum zudem, eine Debatte über den „Migrationshintergrund“ der Bürger werde in Frankreich gar nicht geführt. Leute mit französischem Pass gälten als Franzosen, so der große alte Europäer – nur suchten einige von ihnen im Islam eine Ersatzidentität.
Gauland: Migranten müssen sich anpassen
Welch ein Kontrast zum stellvertretenden Vorstandssprecher der AfD und Pegida-Versteher Alexander Gauland, der mit missmutiger und misstrauischer Miene seine Diagnose wiederholt, die Pariser Anschläge hätten die Ängste von mehr als der Hälfte der Deutschen vor einer Gefährdung durch den Islam bestätigt. Die Dresdner Pegida-Bewegung solle man ernst nehmen und mit diesen Leuten reden statt nur über sie, mahnt Gauland; was er tue. Die Pegida-Anhänger, die mit Muslimen kaum Erfahrung hätten, unterschieden wenig zwischen Islam und Islamismus, gibt Gauland zu.
Auch seien sie weder rede- noch mediengewandt, sagt er, spielt zugleich aber ihr Ressentiment gegen die Presse herunter. Gauland findet, die viel zitierte „Willkommenskultur“ sei weniger von Deutschland gegenüber Migranten zu verlangen, sondern vielmehr von diesen gegenüber dem Land, das ihnen Arbeit und Bleibe gibt, und dessen Sprache und Kultur sie willkommen heißen, das heißt erlernen und sich ihr anpassen müssten.
Kleindiebstahl als Signal des Kulturkriegs
Volker Beck, Innenpolitischer Sprecher der Grünen, verteidigt tapfer Integrationserfolge. Er plädiert dafür, den Religionsunterricht muslimischer Kinder von staatlichen Schulen übernehmen, deutsche Imame in Deutschland ausbilden zu lassen, und räumt ein, er wünsche sich vernehmlichere Bekenntnisse deutscher Muslime etwa zur Gleichberechtigung von Frauen und Homosexuellen. Es nerve ihn aber, bekennt er, wenn jeder Kleindiebstahl eines muslimischen Jugendlichen als Signal eines Kulturkriegs wahrgenommen werde.
Woraufhin die türkisch-deutsche Islamkritikerin Necla Kelek ihm vorhält, vor allem männliche muslimische Jugendliche kämen häufig mit der Freiheit nicht zurecht. Für Frau Kelek ist der Islamismus eine Entartung des Islam, mit dem dieser abrechnen müsse wie es die Deutschen mit dem Nationalsozialismus taten; doch leider geschehe das nicht. Auch in Deutschland würden muslimische junge Männer zur Verantwortung für ihre Familie und deren Ehre erzogen, nicht zu der für ihr eigenes Leben, ereifert sich Kelek. Sie werden angehalten, ihre Identität nicht in der Freiheit zu finden, sondern in der Unterwerfung – was das Wort Koran auf Deutsch bedeute.
Missbrauch nicht islamspezifisch
Nein, entgegnet die kopftuchtragende Carla Amina Baghalati, Medienreferentin der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich, die vor 25 Jahren zum Islam übertrat; Hingabe sei die richtige Übersetzung, erklärt sie mit feinem Akzent, also volles menschliches Sich-Aufs-Spiel-Setzen sei mit dieser Vokabel gemeint. Die madonnenhaft lächelnde Baghalati vereint idealtypisch Aufklärung mit Frömmigkeit. Dass man Religion zur Rechtfertigung von Verbrechen missbrauchen könne, sei nicht islamspezifisch, gibt sie zu bedenken.
Sie widerspricht Kelek, indem sie behauptet, deutschsprachige Schulen lehrten schon die kritische Koranlektüre, jedenfalls in Österreich. Der Euroislam, für den sie steht, engagiere sich für die Menschenrechte, für den Rechtsstaat, für Meinungsfreiheit. Glaubensgenossen, die sich in ihren religiösen Gefühlen verletzt fühlen, empfiehlt die anmutige Baghalati, Großmut zu zeigen – denn Gott könne von niemand beleidigt werden.