TV-Kritik: illner intensiv : Wenn intellektueller Tiefgang auf die Rente trifft
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TV-Moderatorin Maybritt Illner diskutiert mit Manuela Schwesig (SPD), Karl-Josef Laumann (CDU) und André Poggenburg (AfD) über die Rentenpolitik Bild: ZDF/Svea Pietschmann
AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel verzichtete auf einen Auftritt bei „illner intensiv“. Stattdessen schickte ihre Partei einen Mann, für den einfache Fakten offenbar zur unüberwindbaren Hürde wurden.
Von diesem Wahlkampf werden zwei Protagonisten in Erinnerung bleiben. Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner ließ fast keine Wahlsendung aus, während die AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel vom Wegbleiben überzeugt war. Vor allem Lindner hat geschickt die Lücke genutzt, die die Große Koalition im Wahlkampf hinterlassen hat. Bei ihm wird deutlich, worauf es ankommt. Mit inhaltlichen Zuspitzungen für Debatten zu sorgen, und den Gegenwind nicht zu fürchten. Lindner beschränkte sich keineswegs auf liberale Klassiker wie Steuersenkungen oder Bürokratieabbau. Er nutzte geschickt die offenen Flanken der Regierungsparteien. Das betraf zuerst seinen Vorstoß in der Russland-Politik, wo er die Annexion der Krim als ein „dauerhaftes Provisorium“ bewertete. In einem Bild-Interview fand der FDP-Vorsitzende ebenfalls klare Worte zur Flüchtlingspolitik: „Alle Flüchtlinge müssen zurück.“
Medien als Bühne
Die Reaktionen auf diese Aussage ließen nicht lange auf sich warten. Dann könne man gleich die AfD wählen, so die Reaktionen vor allem im linken Wählerlager. Tatsächlich hätte die FDP bestimmt nichts gegen jemanden einzuwenden, der ansonsten AfD wählt. Inhaltlich hatte er lediglich eine Selbstverständlichkeit ausgesprochen. Nach Ende eines Bürgerkrieges können Flüchtlinge in ihre Heimat zurückkehren, weil der Fluchtgrund entfallen ist. So einfach ist das zwar, aber darauf kommt es gar nicht an. Lindner nutzt schlicht das Problem einer Regierung, das man so zusammenfassen kann. Die Ereignisse des September 2015 dürften sich nicht wiederholen, so deren Argument. Nur muss sie sich dann fragen lassen, wie es dazu kommen konnte und wer dafür die Verantwortung trägt. Lindner erreichte das, was einen guten Wahlkampf auszeichnet. Er nötigt die politische Konkurrenz zur Reaktion und ihm gelingt das sogenannte „Agenda-Setting“: Themen zu setzen.
Dafür braucht jemand wie Lindner die Medien, aber die liefern nur die Bühne. Sie sind nicht die heimlichen Regisseure, wie alternative Medienkritiker glauben. „illner intensiv“ war dafür ein gutes Beispiel. Die ZDF-Moderatorin machte in dieser Woche jeweils 30 Minuten lange Diskussionsrunden mit drei Gästen jener Parteien, die gute Chancen haben im nächsten Bundestag vertreten zu sein. Es ging jeden Abend um ein anderes Themengebiet. Das Thema Außenpolitik beschäftigte sich allerdings in dieser verhältnismäßig kurzen Zeit mit der Türkei, Nordkorea und Russland. Ansonsten bietet jedes dieser Themen genügend Stoff für eine 60 Minuten lange Sendung.
Ein solches Format hat durchaus seine Vorteile. Alle Parteienvertreter waren gezwungen, ihre Botschaften prägnant zu formulieren. Es wurden jene programmatischen und ideologischen Unterschiede sichtbar, die unser Parteiensystem bis heute prägen. Das erfordert eine straffe Gesprächsführung, die aber zugleich den Handlungsspielraum der Moderatorin einschränkt, um etwa Widersprüche zu thematisieren. Der Nachteil ist eine gewisse Hektik, die die Entwicklung einer echten Debatte kaum zulässt. Für den Zuschauer ist das Format eine Herausforderung an seine Konzentrationsfähigkeit. Hier geht es um Informationsvermittlung, während der für politische Talkshows konstitutive Unterhaltungscharakter eine geringe Rolle spielt. Unterhaltung allerdings in seiner doppelten Bedeutung: Als Gespräch und als Spaßfaktor. Aber man bekanntlich nicht alles haben.
Trotzdem gaben die bisherigen Sendungen einen guten Einblick in den Verlauf dieses Wahlkampfes. Die Große Koalition hat gute Wirtschaftsdaten mit steigenden Einkommen und sozialpolitischen Verbesserungen zu bieten. Das wird aber bisher vor allem der CDU und der Bundeskanzlerin gut geschrieben. Den Sozialdemokraten gelingt es dagegen nicht, eigene Themen durchzusetzen. Grüne und Linke haben dafür mit der Präsenz der bisherigen außerparlamentarischen Opposition aus FDP und AfD zu kämpfen. So gelang es Lindner gestern Abend beim Thema „Flucht und Migration“ seine beiden Kontrahenten Aydan Özuguz (SPD) und Joachim Herrmann (CSU) erfolgreich in die Defensive zu drängen. Letztlich mussten beide die einsame Entscheidung der Kanzlerin im September 2015 rechtfertigen, die die CSU schon immer für einen Fehler gehalten hatte und die SPD nur ein staunender Zaungast gewesen war.
Geht sie jetzt oder bleibt sie noch?
Die AfD wählte einen anderen Weg als der Alleinunterhalter der FDP mit seiner Omnipräsenz in den Wahlsendungen. Deren Spitzenkandidatin Alice Weidel erzeugte Medienpräsenz durch das Wegbleiben aus solchen Veranstaltungen. Ihr Abgang in Mariettas Slomkas „Wie geht's, Deutschland?" stärkte zweifellos das Solidaritätsgefühl in der eigenen Anhängerschaft. Auf „illner intensiv“ verzichtete sie, obwohl sie noch am Donnerstagmorgen ihre Teilnahme zugesagt hatte. Leider muss man sagen: Das hätte den bis dahin begrenzten Unterhaltungswert dieses Formats enorm gesteigert. Jede Regung und jedes Wort von Frau Weidel wären vom Zuschauer auf die Goldwaage gelegt worden. Geht sie jetzt oder bleibt sie noch, kommt sie unter Umständen nach einem Abgang wieder zurück? Der an ihrer Stelle eingeladene Alexander Gauland musste aus Termingründen absagen, wie er dem ZDF mitteilte. Er war bis dahin allerdings auch nicht als Sozialpolitik-Experte in Erscheinung getreten.
So kam mit André Poggenburg der AfD-Landesvorsitzende aus Sachsen-Anhalt. Einen Verzicht hielt die Partei offensichtlich nicht für sinnvoll. Trotz der harschen Kritik der Spitzenkandidatin am ZDF, die einen Aufruf zum Gebührenboykott einschloss. Immerhin wusste Poggenburg beim Thema Rente eine Forderung von Frau Weidel zu erfüllen. War sie doch bei Frau Slomka unter anderem wegen des Fehlens einer „ergebnisoffenen Diskussion“ gegangen, wie sie es in einem Interview mit der „Neuen Zürcher Zeitung“ (NZZ) ausdrückte. So ergebnisoffen sind zweifellos die Debatten in der „noch jungen Partei“ zur Alterssicherung, wie Poggenburg einräumte. Zudem hätten die ostdeutschen Landesverbände eine andere Position als die im Westen. Das war ein geschickter Schachzug, um mit dem Problem der in vielen Sachfragen zerstrittenen AfD umzugehen.
Aber das kann kein Grund sein, um den von Frau Weidel im NZZ-Interview ebenfalls beklagten „fehlenden intellektuellen Tiefgang“ in der Art vorzuführen, wie es Poggenburg bei Frau Illner gelang. So beklagte er die Belastung der Gesetzlichen Rentenversicherung durch Flüchtlinge. Nur wie soll ein Flüchtling in seinem Heimatstaat deutsche Rentenanwartschaften erworben haben? Als sozialversicherungspflichtiger Arbeitnehmer beteiligt er sich vielmehr an der Finanzierung des Generationenvertrages. Poggenburg bekam von Frau Illner mehrmals die Gelegenheit, um diesen offensichtlichen Unsinn auszuräumen. Poggenburg ließ sie verstreichen. Das ändert nichts an dem berechtigten politischen Streit über die finanziellen Aufwendungen in der Flüchtlingspolitik. Nur machte Poggenburg die Absurdität eines Politikverständnisses deutlich, das nur noch mit Ressentiments hantiert – und dann einfache Fakten zu einer unüberwindbaren Hürde werden können. Seine beiden Kontrahenten Manuela Schwesig (SPD) und Karl-Josef Laumann (CDU) verzichteten seltsamerweise darauf, wegen des „fehlenden intellektuellen Tiefgangs“ empört die Sendung zu verlassen.
Deswegen hat aber auch noch keiner eine Talkshow verlassen, nicht einmal Frau Weidel. Heute wird sich „illner intensiv“ mit der „Inneren Sicherheit“ beschäftigen. An den Eindruck von einem Wahlkampf, wo bisher FDP und AfD die entscheidenden Akzente setzen, wird das aber wohl auch nichts ändern.