TV-Kritik: Hart aber Fair : Wir sind Geiseln der Bilder
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Propaganda? Dschihadisten des „Islamischen Staates“ in ihrer syrischen Hochburg Raqqa Bild: AP
Bei Frank Plasberg ging es um die Gewaltexzesse der IS-Terrormiliz und die Frage, ob Deutschland Waffen an Kurden liefern soll. Es schrie diesmal keiner herum, und es redeten auch nicht alle auf einmal. Das war überraschend und angenehm.
„Wir sollten uns vielleicht alle mal von der Polemisierung verabschieden, erst dann können wir konstruktiv zu dem vordringen, worum es geht“, sagte am Montagabend bei „Hart aber Fair“ der Schriftsteller Frank Schätzing. Er sagte es in einer Sendung, die so besonders polemisch diesmal eigentlich gar nicht war. Frank Plasberg, der als Moderator eine Art Scharfmacher ist, einer, der Leute gerne gegeneinander aufbringt und sie unterbricht, um den Eindruck der heißen Diskussion zu erwecken, schwieg diesmal über lange Strecken, war sogar nur selten im Bild, unterbrach kaum und wenn, dann nur höflich. Er übte sich also in völlig ungewohnter Zurückhaltung, und seine Gäste taten es auch: keine starken Meinungen diesmal, keine Anschuldigungen oder Beleidigungen, keiner schrie, allerhöchstens redeten mal zwei Leute auf einmal. Das war überraschend und angenehm.
„Flagge zeigen und Waffen liefern – Deutschlands neue Rolle?“ hieß das Thema der Sendung, die der Frage nachging, ob Deutschland seine historisch begründete Zurückhaltung tatsächlich aufgeben und angesichts der Brutalitätsexzesse der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ Waffen an kurdische Milizen liefern solle. Dass man nicht darum herumkomme, mit militärischen Mitteln gegen die IS vorzugehen, weil diese sich anders als militärisch wahrscheinlich überhaupt nicht aufhalten lasse, darüber waren sich von „Spiegel“-Kolumnist und „Freitag“-Chefredakteur Jakob Augstein über Claudia Roth von den Grünen bis hin zum Chefredakteur von „Bild.de“, Julian Reichelt, interessanterweise alle einig.
Sie waren sich auch einig darüber, dass Begriffe wie „Stolz“ und „Mut“ in dieser Situation genauso unangemessen seien wie die Symbolsprache des Fotos, das Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen vor gut zehn Tagen im Morgengrauen in Jeansjacke mit verschränkten Armen auf einem Nato-Flugplatz vor einer Bundeswehrmaschine mit Flugziel Nordirak gezeigt hatte. Ein Bild, mit dem sie das Inszenierungs-Repertoire ihres Pilotenbrille tragenden Vorgängers Karl-Theodor zu Guttenberg offenbar auch mal ausprobieren wollte. Ob Waffenlieferungen an die Kurden der richtige Weg seien, blieb in der Sendung allerdings bis zuletzt umstritten.
Yogamatten und Gebetskreise
Claudia Roth sprach sich dagegen aus, weil sie eine „Gesamtstrategie“, ein „Konzept“ vermisste. Da die Isis humanitäre Katastrophen erzeuge, um ganze Regionen zu destabilisieren, müsse es jetzt vor allem darum gehen, eine „humanitäre Offensive“ zu starten, die sich um die Opfer kümmere. Roth war gerade von einer Irakreise zurückgekommen und berichtete von der Situation der Menschen dort, die sie in dieser Härte selten gesehen habe. Allein dafür gebührt ihr Respekt: dass sie hinfährt, um sich selbst ein Bild zu machen.
Auch Jakob Augstein sprach sich gegen Waffenlieferungen aus, weil wir mit gewaltgestützter Konfliktlösung keine gute Erfahrung gemacht hätten, uns demnach in einer „Logik der Gewalt“ einschalteten, die schon früher nicht funktioniert habe. Das hieß nicht, dass er eine pazifistische Position vertrat („Ich bin kein Pazifist, der sagt: niemals!“). Dass allerdings, wer im Moment in Deutschland eine pazifistische Haltung einnehme, verspottet werde, das beunruhige und empöre ihn.
Die ehemalige Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche, Margot Käßmann, hatte sich erst neulich eine Abschaffung der Bundeswehr gewünscht, woraufhin der Europaabgeordnete Elmar Brok von der CDU, der jetzt auch im Studio saß, vor einer „Käßmannisierung“ der Republik gewarnt hatte. Cem Özdemir und Joschka Fischer wiederum hatten gelästert, dass man Terroristen nicht mit „Yogamatte“ oder „Gebetskreisen“ bekämpfen könne – alles Äußerungen und Zitate, die Frank Plasberg einspielte. Nur zeigte die Runde an Spott und Hohn kein Interesse, sondern am Thema selbst. Und das gibt es in Talkshows schließlich auch nicht jede Woche.
„Gottlose Psychopathen“
Frank Schätzing, der sich für seinen Bestseller „Breaking News“ intensiv mit dem Nahen Osten auseinandergesetzt hat, nannte die Isis eine „Verbrecherbande“, die es mit „polizeilichen Mitteln“ aufzuhalten gelte, „um anschließend den Rückhalt dieser Truppen auszurotten“. Brok gab zu bedenken, dass es im Moment gar nicht um Deutschlands Rolle in der Welt gehe, sondern um schnelle Hilfe. Kluge Strategien würden nichts nützen, „wenn die Menschen tot sind“. Und Julian Reichelt, der sich für die Pathologisierung entschied und die Mitglieder der Isis „gottlose Psychopathen“ nannte, verteidigte nicht nur Waffenlieferungen, sondern auch eine „ganz energische militärische Offensive“: Das Ziel der Terrorgruppe, die sich wie ein Staat organisiere, sei nicht Syrien oder Irak. Das Ziel sei ein globales. Zahlreiche Europäer hätten sich ihnen angeschlossen und warteten nur darauf, nach Europa zurückzukehren und den Kampf in unsere Städte zu tragen.
Nach „hart aber fair“ war in den „Tagesthemen“ ein Beitrag über den Terror und die Eroberungen der IS zu sehen, der zeigte wie IS-Kämpfer einen syrischen Soldaten verfolgen. Er sinkt getroffen nieder. Ein zweiter sitzt als Gefangener gefesselt in einem Verschlag. Wir sehen, wie ein IS-Schütze auf ihn anlegt. Das Bild friert ein. Wir hören zwei Schüsse.
Jakob Augstein hatte sich bei Plasberg eben noch als „Geisel jener Bilder“ bezeichnet, die wohl auch die Bundesregierung zum Umdenken veranlasst hätten. Dass auf Facebook das Video von der Tötung des amerikanischen Reporters James Foley millionenfach geteilt wurde und Erschießungsszenen die Nachrichten erreicht haben, sollte uns nicht gleichgültig sein. Die IS-Terrormiliz hat ein unbedingtes Interesse daran, diese Bilder zu verbreiten. Und wir machen mit.