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TV-Kritik: Hart aber fair : Lieber gläsern als tot?

  • -Aktualisiert am

Frank Plasberg, Moderator von „Hart aber fair“ Bild: WDR/Klaus Görgen

In der Diskussion über Terrorgefahr in Deutschland dominiert die Sehnsucht nach Eindeutigkeit. Dabei liegt darin der Denkfehler, wie bei Frank Plasberg deutlich wurde.

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          In einer Straßenumfrage nannte eine Passantin ihre Lösung des Problems, das Frank Plasberg gestern Abend diskutierte. „Lieber gläsern als tot“, so ihre Schlussfolgerung für die Terrorgefahr, die in Deutschland seit Sonntag konkret geworden ist. So wenigstens formulierte es der Dresdner Polizeipräsident, als er am Montag ein Versammlungsverbot für die Stadt aussprach. Die Passantin formulierte den Preis, den sie zahlen wollte, um als Staatsbürgerin vor Terrorangriffen geschützt zu werden.

          Den zahlt sie allerdings nur unter einer Voraussetzung: In der Gewissheit unschuldig zu sein, darf der Staat Zugriff auf ihre Daten haben. Gläsern ist nur der, der von sich glaubt, nichts zu verbergen zu haben. Dafür soll der Staat die Schuldigen festsetzen, am besten noch vor der Tatbegehung, um solche Anschläge wie in Paris zu verhindern. In dieser Perspektive stehen somit Unschuldige wie Schuldige schon fest, bevor sich überhaupt ein Richter damit beschäftigt hat.

          Was heißt „konkret“?

          Plasberg hatte unter dem Eindruck des Dresdner Versammlungsverbotes kurzfristig das Thema der Sendung geändert. „Terrorangst in Deutschland – wie nah ist die Gefahr?“, so wollte er wissen. Erst allmählich scheint man aber zu bemerken, was diese Entscheidung des Polizeipräsidenten in Dresden eigentlich bedeutet. Denn gläsern ist nur die unschuldige Passantin, keineswegs die Terrorgefahr. Georg Mascolo, früherer Spiegel-Chefredakteur, wiederholte in der Sendung, was er heute auch in der Süddeutschen Zeitung schreibt. „ Der Hinweis ist also konkret, aber worauf er basiert, ist nicht klar. Vielleicht auch auf einem Tweet. Die Ursprungsfassung der Meldung soll jetzt besorgt werden.“ Es gibt konkrete Hinweise, die aber nicht zwangsläufig auf konkrete Gefahren hinweisen müssen. Die Sicherheitsbehörden, so ist das zu verstehen, sehen durch Milchglas.

          Mascolo zeigte dabei durchaus Verständnis für deren Dilemma und lobte etwa die Besonnenheit des Bundesinnenministers. Nur war bei allen Gästen eine gewisse Ratlosigkeit über die Folgen festzustellen. Der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) nannte diese Verfügung zwar eine „schreckliche Niederlage für die Freiheit“, aber wollte sich dem Argument der Gefahrenabwehr nicht entziehen. Niemand kann schließlich wissen, ob diese Warnung substantiell genug war oder nicht. Diese Unwissenheit erzeugt die Ratlosigkeit, allerdings scheint sie auch die Entscheidung der Polizei bestimmt zu haben. „Ich möchte eines Tages schon wissen,“ so Baum, „was deren Hintergrund gewesen ist.“ Weiß das die Polizei in Sachsen überhaupt?

          Der Präventionsstaat stellt die Rechtsordnung auf den Kopf

          So waren sich alle einig, vergleichbare Fälle in Zukunft ausschließen zu wollen. Baum nannte aber jenen Punkt, der letztlich den Mentalitätswechsel in der Politik beschreibt und somit Dresden erst möglich machte: Wir würden immer mehr zum „Präventionsstaat“, so sein Argument, und stellen damit unsere Rechtsordnung auf den Kopf. Sie verlagert sich von der Sanktionierung strafbarer Handlungen auf deren Verhinderung. Die Kompetenz der Sicherheitsbehörden wird auch daran gemessen, keineswegs an der Ermittlung von Tätern. Auch wenn jedem klar ist, wie gestern Abend, dass es eine „hundertprozentige Sicherheit nicht geben kann“, so wird letztlich dieser Anspruch an die Polizei gestellt. Erst so kann das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit im Denken aller Akteure zum nachrangigen Gut degradiert werden.

          In Baums Streit mit Armin Laschet, stellvertretender CDU-Parteivorsitzender, und mit Sebastian Fiedler vom Bund deutscher Kriminalbeamter kam dieser Grundkonflikt zum Ausdruck. Es ging um die Vorratsdatenspeicherung, die beide befürworten. Fiedler hielt schon den Begriff „Überwachung“ für irreführend, weil es sich letztlich nur um ein Werkzeug der Polizei zur Aufklärung von Straftaten handele. Allerdings setzte der Rechtsstaat der Polizei schon immer Grenzen bei der Wahl seiner Mittel. Laschet verwies dagegen auf die Hausdurchsuchung, die bekanntlich im Ermittlungsverfahren neben der Festnahme der schwerste Eingriff in die Privatsphäre eines Verdächtigen darstellt. Der Zugriff auf die Verbindungsdaten der Bürger sei im Vergleich dazu eher ein begrenzter Eingriff, so das bekannte Argument. Der Staat speichere sie schließlich nicht selbst, sondern die Telekommunikationskonzerne. Nur ist die Hausdurchsuchung nur bei Tatverdächtigen mit richterlicher Genehmigung erlaubt. Was hielte aber wohl der Bürger davon, wenn er in Zukunft sein Inventar und alle in der Wohnung befindlichen Dokumente bei seiner Hausratsversicherung melden müsste, um dem Staat bei begründetem Tatverdacht einen leichteren Zugriff zu ermöglichen? Nichts anderes bezweckt die Vorratsdatenspeicherung, nur mit unseren Daten. 

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