TV-Kritik: Günther Jauch : Loyal bis zur letzten Lawine
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Die Etappen sind wie folgt: Seit Anfang des Jahres kommt der große Flüchtlingszug aus der Türkei. Angela Merkel öffnet die deutsche Grenze. Sie sieht, dass das nicht ewig so weitergehen kann, ist in der EU isoliert und macht Erdogan eine untertänige Aufwartung kurz vor der Wahl, die seine AKP haushoch gewinnt. Erdogan geht weiter gegen die Kurden vor, radiert die Gülen-Bewegung aus und verfolgt weiter jede Opposition. Die EU zahlt im drei Milliarden Euro, es gibt Visa-Erleichterungen für die Türken und die Beitrittsverhandlungen werden mit neuem Schwung verfolgt. Ein Kontingent von 400.000 Flüchtlingen soll trotzdem noch Richtung Deutschland kommen: So sieht es aus, wenn das zynische Kalkül eines Potentaten auf das Wohlmeinen einer Bundeskanzlerin trifft. Deren humanitäre Geste mag man für alternativlos halten, doch sollte man sich die Konsequenzen vor Augen führen: So schafft sich Europa ab.
Schlag nach bei Hölderlin
Und das muss auch einem Realpolitiker wie Wolfgang Schäuble klar sein, von dem wir bei Jauchs letzter Runde leider nicht eine einzige Konkretion angeboten bekommen. Schäuble wird lieber philosophisch, redet über das Leben an sich und zitiert aus einem dichterischen Rettungspaket, aus Hölderlins „Patmos“-Hymne: „Wo aber Gefahr ist, wächst Das Rettende auch.“ Da wagt es Jauch schon gar nicht mehr, nach Schäubles Verhältnis zu Helmut Kohl zu fragen, gegen den der Minister ebenso wenig einen Groll hegt, wie er sagt, wie gegen den Mann, der ihn 1990 lebensgefährlich verletzte und durch seinen Angriff Schäubles Querschnittslähmung verursachte.
Von der inneren Freiheit, von der Schäuble zu Beginn der Sendung spricht, legt er mit jeder seiner Antworten Zeugnis ab. Wir sehen einen freien Mann, der so frei ist, sich auch noch in einem etwas höheren Alter einer Aufgabe zu verschreiben, die viele andere als ungeheure Belastung empfinden würden: Politik machen, um Zustimmung und um Lösungen ringen, für seine Überzeugung kämpfen und Verantwortung tragen. Und wir sehen einen Mann, der nicht jetzt schon gefragt werden will, ob er 2017 noch einmal für den Bundestag kandidiert. Damit fängt sich Günther Jauch vielmehr eine Bemerkung ein, die für viele Lacher im Studio sorgt. Er habe „nur gehört, Sie wollen diese Sendung nicht fortsetzen“, sagt Schäuble. Denn sonst könnte man ja in zwei Jahren diese Frage noch einmal stellen.
Aber nein, was wir von Wolfgang Schäuble noch nicht wissen, ist und bleibt für Günther Jauch klar: Das Ende seiner Amtszeit. Er bedankt sich bei allen, empfiehlt uns seine Vorgängerin und Nachfolgerin Anne Will und sagt „Danke und auf Wiedersehen“.
P.S.: Und dann geschieht doch noch etwas Seltsames: Ein Sprecher verliest eine Gegendarstellung zu der Sendung von Günther Jauch vom 13. April 2014, die der Chefredakteur einer Klatschzeitschrift zu einer Petitesse (sein Name erschien auf einem Laufband mit Namen von Leuten, die sich angeblich zu einem Thema in der Sendung hatten nicht äußern wollen) durchgesetzt hat. Profaner kann ein Abgang im Fernsehen nicht sein.