TV-Kritik: Günther Jauch : Der IS wird immer noch unterschätzt
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Moderator Günther Jauch diskutierte über die Anschläge in Paris. Bild: dpa
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen sieht den IS auf dem Rückzug, und von „Krieg“ will bei Günther Jauch auch niemand sprechen. Wie fundamental die Bedrohung ist, haben offenbar nicht alle verstanden.
Die Massenmörder, die am Freitagabend in Paris 132 Menschen getötet und mehr als dreihundert verletzt haben, hatten ein noch viel größeres Verbrechen vor. Ihr Ziel war, ins Stade de France zu gelangen und vor laufenden Kameras, vor Millionen Zuschauern, ein Massaker unter den achtzigtausend Menschen im Stadion anzurichten.

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Am 13. November 2015 wollte die Terrorgruppe „Islamischer Staat“ in Paris die Attentate, die Al Qaida am 11. September 2001 in den Vereinigten Staaten verübte, noch in den Schatten stellen und der ganzen Welt zeigen, was viele Menschen schon so verstanden haben: Das ist Terror, der sich als legitime, gottgewollte Kriegstaktik versteht. Das ist Terror, der allen Andersdenkenden und Anderslebenden gilt. Das ist Terror, dessen religiös-faschistische Urheber der ganzen Welt den „totalen Krieg“ erklärt und zum Ziel haben, dass diese Welt untergeht.
Insofern ist verständlich, dass der Journalist Georg Mascolo, der am Sonntagabend in der Talkshow von Günther Jauch zu Gast war, zu dem Ergebnis kommt, dass sich die Lage seit 9/11 nur noch verschlimmert habe. Damals ging es um eine international operierende, mobile Terrorgruppe mit verschiedenen Dependancen, heute haben wir es mit einem territorial gefestigten, selbsternannten Kalifat zu tun, dessen Krieger gar nicht schnell genug möglichst viele Menschen töten, Frauen vergewaltigen und versklaven, ganz Volksgruppen ausrotten können.
„Der Islamische Staat kann geschlagen werden“
Es hat – zu – lange gedauert, bis der Westen begriffen hat, welche Gefahr dieser IS darstellt und auf welch fundamentale Weise er dank seiner über ganz Europa verteilten Anhänger die Gesellschaften angreift. Und bei manchen Politikern hat man den Eindruck, dass sie immer noch nicht verstanden haben, worum es geht. Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen spricht in ihrer gedehnt-belehrend-pastoralen Art, die sie auch bei Jauch den anderen Diskussionsteilnehmern gegenüber an den Tag legt, davon, dass es immerhin schon gelungen sei, die Ausbreitung des IS zu stoppen. „Der Islamische Staat kann geschlagen werden“, sagt sie in dem sanft beschwörenden Ton, den man auch von der Bundeskanzlerin kennt.
Die hatte am frühen Freitagabend mit Blick auf die Flüchtlingskrise abermals ihr „Wir schaffen das“-Mantra aufgesagt, diesmal nicht in der ARD, sondern im ZDF. Das war zwei Stunden, bevor in Paris die Hölle losbrach.
Vom islamistischen Terror und von der Flüchtlingskrise in einem Atemzug zu sprechen, deutet zwar auf einen gedanklichen Kurzschluss hin, nicht aber auf einen solch kapitalen, wie ihn Günther Jauch in einer überspitzt formulierten Frage ausdrückt. Ob der bayerische Finanzminister Markus Söder mit seiner Forderung nach einer Begrenzung des Flüchtlingszuzugs nicht das Geschäft des IS betreibe, will Jauch wissen.
Das gibt Martin Schulz, dem Präsidenten des Europaparlaments, und dem Journalisten Ulrich Wickert die Gelegenheit, sich von derlei Einlassungen abzusetzen, von Verantwortungslosigkeit (Wickert) oder „Unsinn“ und Profitschlagenwollen aus einer angespannten Situation (Schulz) und davon zu sprechen, dass die Flüchtlinge, die zu uns kommen, ja gerade vor dem Terror fliehen, der in Paris zugeschlagen hat.