TV-Kritik „Anne Will“ : „Das kann man im öffentlichen Fernsehen nicht machen“
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Auge in Auge: Anne Will im Gespräch mit der Konvertitin Nora Illi. Bild: NDR/Wolfgang Borrs
Bei der Frage „Warum verfallen junge Leute dem Islamismus?“ droht die Sendung von Anne Will zu scheitern. Eine Vollverschleierte macht offen Propaganda für den IS. Doch das lassen sich die anderen (Muslime) zum Glück nicht bieten.
Die Sendung von Anne Will, mit der sie an diesem Sonntag an den „Tatort: Borowski und das verlorene Mädchen“ anschloss und die Frage stellte „Mein Leben für Allah - Warum radikalisieren sich immer mehr junge Menschen?“ war eine Gratwanderung. Es war eine Gratwanderung, an der Anne Will gescheitert wäre, hätte sie nicht Ahmad Mansour in ihrer Sendung gehabt, nicht Wolfgang Bosbach, nicht den Imam Mohamed Taha Sabri aus Berlin und nicht Sascha Mané, dessen Tochter nach Syrien ausgereist ist, ins Herrschaftsgebiet der Mördermiliz namens „Islamischer Staat“ (IS).
Anne Will hatte mit der vollverschleierten Konvertitin Nora Illi aus der Schweiz nämlich jemanden in ihrer Sendung zu Gast, der die Mordbrennerei und den Gewaltkult von Männern, die eine Religion gekapert haben, um ihren Perversionen einen ideologischen Überbau zu verschaffen, als „bitterharte Langzeitprüfung“ verharmlost. Nora Illi ist die perfekte Propagandistin eines nihilistischen Vernichtungskults, weil sie die Unterdrückung – insbesondere die der Frauen – als Befreiung auszugeben weiß.
Illi redet nicht von der Ermordung der „Ungläubigen“, also all jener, die sich nicht dem IS, besser „Daesh“, unterwerfen wollen, nicht von Vergewaltigungen und Zwangsverheiratungen. Sie redet von der „Selbstentfaltung“ der Frau unter dem Vollschleier und von dem „Respekt“, den ihr in der Welt eines solchen Islamverständnisses entgegengebracht werde. Sie spricht vom Leben in der Gemeinschaft, in der man „Schulter an Schulter“ betet, von „Selbstbestimmung und Freiheit“ und von der vermeintlichen Unterdrückung der Muslime in unserer Gesellschaft. Von den Taten der IS-Miliz distanziert sie sich nicht.
Nora Illi, die mit ihrer Position inzwischen eine echte Medienkarriere absolviert hat, ist mithin das Paradebeispiel der Menschenfänger, von denen zuvor auch der „Tatort“ von Raymond Ley handelte. Doch das muss man in einer Talksendung erst einmal begreiflich machen, zumal Nora Illi eine Gruppe von Claquerinnen im Studio hat, die bei jeder ihrer Äußerungen applaudieren. Mit Fragen wie „Fühlen Sie sich unterdrückt?“, wie sie Anne Will stellt, ist jemandem wie Nora Illi nicht beizukommen. Das ist vielmehr eine Einladung, die Verhältnisse auf den Kopf zu stellen und der pluralen Gesellschaft anzulasten, wofür eigentlich der IS steht: Unterdrückung und Vernichtung Andersdenkender.
„Das kann man im öffentlichen Fernsehen nicht machen“
Bei jemandem wie dem Islamismus-Experten Ahmad Mansour geht so etwas nicht durch. „Das ist Propaganda, so etwas kann man im öffentlichen Fernsehen nicht machen“, sagt er, nachdem Nora Illi sich wortreich um eine Antwort auf die Frage gedrückt hat, was sie jungen Leuten, insbesondere Mädchen, rate, die zum IS reisen wollen. „Wir müssen den jungen Leuten einen Glauben anbieten, der nicht zur Radikalisierung führt“, sagt Mansour, der als junger Mann die Stufen der Radikalisierung selbst durchlaufen hat und deshalb den „sozialen Druck“ ganz genau kennt, und die Orientierungslosigkeit von Jugendlichen, denen plötzlich jemand „Halt“ gibt durch einen Kodex, der auf jede Frage eine Antwort parat hat – die darauf lautet, dass man gefälligst keine Fragen mehr stellt, sondern seine vorgegebene Rolle annimmt. Mansour weiß auch von der „Macht“, die man verspürt, wenn man allen anderen – im vermeintlichen Auftrag Gottes – plötzlich Vorschriften machen kann.
Mansours Appell gilt auch dem Imam Mohamed Taha Sabri, der zuerst davon redet, dass die Ostkirche nur dank des Islams erhalten worden sei, und sich des Vorwurfs erwehren muss, dass auch er in seiner Moschee einmal einen radikalen Salafisten habe predigen lassen. Dass dies ein Fehler gewesen sei, gibt der Imam ein wenig gewunden zu und wird schließlich so eindeutig, wie man sich das im Sinne eines Islams, der sich zu einer freiheitlichen Gesellschaft bekennt, nur wünschen kann: Der IS sei Faschismus, nichts anderes, und begehe Verbrechen gegen die Menschheit.
Wo die Trennlinie verläuft
Wolfgang Bosbach, den wir als Bundestagsabgeordneten und stetigen Talkshowgast noch vermissen werden, sagt es ebenfalls deutlich: Die Trennlinie verläuft nicht zwischen den Religionen, sondern da, wo – „im Namen des Islams“ – „Werte gepredigt werden, die im Gegensatz zu unserem Grundgesetz stehen“. Wobei man „Werte“ an dieser Stelle in doppelte Anführungszeichen setzen sollte. Denn mit „Werten“ hat der politische Islam nichts zu tun. Er bemäntelt vielmehr „barbarische Grausamkeit“ (Bosbach) mit einer vermeintlichen Wertediskussion.
Zum Ausgangspunkt der Diskussion und Gegenstand des vorhergehenden „Tatorts“ freilich liefert Sascha Mané an diesem Abend das beeindruckendste Zeugnis, der sich bei den relativierenden Aussagen Nora Illis in seinem Stuhl windet. Seine Tochter ist nach Syrien gereist, er hat vergebens versucht, sie in der Türkei abzufangen. In dem mit einer etwas hergeholten Kriminalhandlung versehenen „Tatort“ erkennt er seine Tochter nicht wieder, wohl aber unterstreicht er die psychologische Situation, von welcher der Film ausgeht und welche die Diskussion bei Anne Will bestimmt: Es geht um Jugendliche, die die Welt verbessern wollen, die die Ungerechtigkeiten unserer Welt erkennen und an exakt diesem Punkt den Falschen in die Hände geraten. Der Niqab, hinter dem sich die ihm gegenüber sitzende Nora Illi versteckt, sei nicht nur ein politisches Symbol, er zähle nicht zur deutschen Kultur, sagt Sascha Mané. Und der IS sei in Syrien und im Irak in das Vakuum vorgestoßen, dass die Vereinigten Staaten hinterlassen haben. Da leistet niemand Widerrede.
Die Radikalisierung und Abwendung von der offenen Gesellschaft, sagt Ahmad Mansour, beginne übrigens schon, wenn tausende Mädchen nicht am Schwimmunterricht teilnehmen dürfen. An dieser Stelle erinnern wir uns: Die SPD-Politikerin und Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz, hat sich in der vergangenen Woche gegen ein generelles Verbot der Kinderehe ausgesprochen.
Es wäre doch schön, hätte sie am Sonntagabend vor dem Fernseher gesessen und gesehen, wie Anne Will eine Debatte über unser „Werteverständnis“, zu dem auch gehöre, „dass wir uns mit dem Werteverständnis anderer auseinandersetzen“, so gerade eben meisterte, weil ein paar ihrer Gäste wussten, um welche Werte es dabei geht. Es sind übrigens (ohne den unersetzlichen Christdemokraten Wolfgang Bosbach zu vergessen) Muslime, die für diese Werte eintreten.