TV-Kritik: Anne Will : Angst vor Inzest und Polygamie
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TV-Moderatorin Anne Will diskutierte mit ihren Gästen über die „Ehe für alle“. Bild: dpa
Nachts diskutierte Anne Will über die Homo-Ehe. Deren Befürworter hatten es nicht leicht. Auf die Frage, warum die „Ehe für alle“ nicht etwa auch für Geschwister gelten soll, hatten sie keine stimmige Antwort parat.
Manchmal gibt es nicht nur beim Fußball späte Gegentore. Das kann auch in einer Talkshow passieren. In diesem Fall bei Anne Will nachts um kurz nach Eins. Es bekam die SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi. Das Thema der Sendung war der „Streitfall Homo-Ehe - Bekommen wir bald irische Verhältnisse?“. Frau Fahimi hatte Anfang Juni die umstrittenen Äußerungen der saarländischen Ministerpräsidentin Annegret Kamp-Karrenbauer zur Homoehe mit drastischen Worten kommentiert. Sie habe keinerlei Verständnis dafür, "dass eine CDU-Ministerpräsidentin gleichgeschlechtliche Partnerschaften jetzt mit Inzucht und Polygamie gleichsetzt". Frau Will wunderte sich über den diskriminierenden Ausdruck „Inzucht“, den Frau Fahimi sogar zurücknahm, um sie anschließend mit der Position des Ethikrates zum Inzest unter erwachsenen Geschwistern zu konfrontieren. Dieser befürwortet nämlich in seiner Mehrheit die Abschaffung der bisherigen Strafbewehrung inzestuöser Sexualkontakte. Welches Argument, so Frau Will, gibt es jetzt noch gegen die Verweigerung einer Ehe unter Geschwistern?
Frau Fahimi wusste keines, außer den Hinweis auf die Statistik. Solche Fälle gäbe es in Wirklichkeit nicht, so schließlich auch die Erfahrung in den Staaten, wo hetero- und homosexuelle Partnerschaften schon längst gleichgestellt worden sind. Allerdings müsse man über diesen Vorschlag des Ethikrates noch einmal nachdenken, so Frau Fahimi, und sie „habe sich dazu noch keine abschließende Meinung gebildet“. Sie konnte jetzt nur noch den Ball aus dem Netz nehmen. Es wurde hier deutlich, woran die Debatte über die sogenannte „Ehe für alle“ krankt: An ihrer intellektuellen Beliebigkeit. Frau Kamp-Karrenbauers Äußerungen wurden bisher vor allem so wahrgenommen, wie es gestern Abend auch Norbert Reicherts machte, ein ehemaliger katholischer Pfarrer, der in einer homosexuellen Partnerschaft lebt. Als Versuch von Konservativen, Ängste zu schüren, indem Inzest mit Homosexualität gleichgesetzt wird. Nur stellte sich Reicherts nicht die entscheidende Frage: Warum muss man eigentlich Angst vor dem Inzest oder der Polygamie haben? Was spricht dagegen, das Rechtsinstitut der Ehe für alle zu öffnen, die aus freier Entscheidung heraus Verantwortung füreinander übernehmen wollen? Warum sollen diese Formen der Partnerschaften gegenüber der klassischen Ehe diskriminiert werden? Oder anders gesagt: Warum soll nur die homosexuelle Partnerschaft das Privileg der Gleichstellung bekommen?
Gleichbehandlung auch auf symbolischer Ebene
Der frühere CSU-Politiker Thomas Goppel wies schon zu Beginn der Sendung auf den rechtsstaatlichen Grundsatz der Differenzierung hin. Er meinte damit Gleiches gleich, aber Ungleiches ungleich zu behandeln. Die Ungleichbehandlung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften unter heutigen Bedingungen zu begründen, fiel ihm erwartungsgemäß schwer. Letztlich variierte er lediglich das Argument vom christlichen Menschenbild und wollte ansonsten die Verfahrenshürden zur rechtlichen Gleichstellung möglichst hoch hängen. Die Gegenargumente von Frau Fahimi und Reichelts waren rechtlicher und soziologischer Natur. Rechtlich ginge es um die Gleichheit vor dem Gesetz, die Homosexuellen nicht verwehren dürfe, was Heterosexuellen zugestanden wird. Ansonsten handele es sich um Diskriminierung. Darauf beruhte auch das soziologische Argument. Gesellschaftliche Normen, die die Ehe als heterosexuelle Partnerschaft definierten, dürften keine Rolle spielen, weil sie den Minderheitenschutz gefährdeten. Zugleich käme damit die soziale Ächtung von Minderheiten zum Ausdruck, weswegen auch auf symbolischer Ebene die Gleichbehandlung zwingend wäre.