TV-Kritik: „Günther Jauch“ : Putin wirbt um Deutschland
- -Aktualisiert am
Der russische Präsident Wladimir Putin im Interview mit ARD-Reporter Hubert Seipel Bild: dpa
Russlands Präsident enthüllt in der ARD seinen Plan: Eine russisch-deutsche Entente muss her, um den Frieden in Europa zu erhalten. Was die Ukrainer wollen, spielt keine Rolle. So spannend war der Polit-Abend lange nicht mehr.
Seit Freitag hatte die ARD die Geschichte angeheizt: Putin kommt! Putin kommt! Putin kommt! Das große Interview! Am Sonntag! Bei Günther Jauch! Dem Reporter Hubert Seipel wurde vom Kreml ein Interview gewährt! In Wahrheit war es genau umgekehrt: Das erste deutsche Fernsehen! Bot dem russischen Präsidenten! Die einmalige Gelegenheit! Beim deutschen Publikum um Verständnis für seine Haltung zu werben und seine Botschaft loszuwerden.
Putin befürchtet „ethnische Säuberungen“
Und das machte er: Eine halbe Stunde lang erklärte er zur besten Sendezeit, warum er die Krim annektiert und das Völkerrecht trotzdem nicht gebrochen habe. Selbstverständlich hätten russische Truppen die ukrainischen Truppen „blockiert“. Warum? „Um ein Blutvergießen zu verhindern.“ Es sei zu befürchten, sagte Wladimir Putin, dass in der Ukraine „der Wunsch nach ethnischen Säuberungen“ aufkomme, die Faschisten seien auf dem Vormarsch. Die Wirtschaftssanktionen des Westens schwächten Russland nicht, sondern seien Anreiz, mehr eigene Produkte zu entwickeln.
Was wird aus der Ukraine? Sie sei „ein großes europäisches Land mit einer europäischen Kultur“, sagte Putin. Doch müssten „alle Menschen auf diesem Territorium ein Gefühl dafür entwickeln, dass es ihre Heimat ist“. Eine Föderalisierung der Ukraine sei denkbar (also eine Teilung). Und warum es eine besondere deutsch-russische Entente geben könne – zu beiderseitigem Nutzen und um der Erhaltung des Friedens willen, sagte Putin auch: Deutschland und Russland seien an einer Beruhigung der Lage interessiert. Man könne einen „einheitlichen politischen Raum“ schaffen, Russland sei dazu bereit.
Das war eine ganz schöne Packung. Ganz schön kühn - man könnte auch sagen: dreist -, was Putin da anbot und vorschlug. Aber er brachte seine Ansprache so lässig, ruhig und sachlich rüber (auch mit dem einen oder anderen Halbsatz auf Deutsch) , dass man denken konnte: Warum nicht? Die Ukrainer sind alle selbst schuld. Die Russen sind die wahren Opfer. Und genau so sollte es sein - Deutschland und Russland treten als Friedensmächte in Europa auf, Seit an Seit. Mit der einen oder anderen Grenzkorrektur zu Lasten Dritter müsste man im Zweifel selbstverständlich rechnen. (Historische Analogien ziehen wir an dieser Stelle einfach mal nicht.)
Der Historiker Heinrich August Winkler kapierte in der anschließenden Gesprächsrunde bei Günther Jauch gleich, was der russische Präsident da gerade unternommen hatte – den Versuch, Deutschland aus der westlichen Allianz herauszubrechen. Und wir können sagen: Wir sind dabei gewesen. So spannend kann politisches Fernsehen sein.
Die Vergangenheit rechtfertigt Putins Handeln nicht
Dazu leistete auch der Reporter Hubert Seipel seinen Beitrag. Er hat schon Recht, wenn er sagt, man müsse nicht den Helden spielen, wenn man ein Interview mit dem Kreml-Chef führt. Was wohl auch bedeuten soll: Im Gespräch mit Putin bringt es gar nichts, wenn ich ihm gleich sämtliche Vorwürfe des Westens vor den Latz knalle. An der einen oder anderen Stelle hätte Seipel aber schon einmal nachfragen können – bei den vermeintlich zu befürchtenden ethnischen Säuberungen, bei den ukrainischen Neonazis, bei der Annexion der Krim und Putins schiefem Vergleich, das sei genauso gewesen wie sich der Westen, die Nato damals im Kosovo verhalten habe.
Denn je länger Putin unwidersprochen ins Monologisieren kam, desto rationaler mochte einem erscheinen, was er in den vergangenen Monaten in der Ukraine angestellt hat. Kaum zu glauben, dass dieser Mann einem souveränen Nachbarstaat ein Gebiet per militärischer Besetzung entwunden hat und Separatisten unterstützt, die den Osten der Ukraine ins Chaos stürzen.