Fernseh-Frühkritik „Hart aber fair“ : Die alten Männer haben ihre Zukunft hinter sich
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Einladung zur Diskussion: In Frank Plasbergs Sendung „Hart aber fair“ war die Agenda 2010 Thema Bild: dapd
Die Agenda 2010 betrachtete man 2003 als „alternativlos“. Das kommt einem heute ja bekannt vor. Bei Frank Plasberg diskutierte darüber eine Runde mit Verursachern und Betroffenen der Reform.
„Dass es Reformen geben musste, war ja unbestritten.“ So formulierte es gestern Abend die ehemalige stellvertretende DGB-Bundesvorsitzende, Ursula Engelen-Kefer, bei „Hart aber fair“. Plasberg versuchte sich an einer Aufarbeitung jener Agenda 2010, die der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder am 14. März 2003 zur Überraschung von Freund und Feind im Bundestag präsentiert hatte.
Schon im Titel der Sendung, „Zehn Jahre Hartz - Agenda Aufstieg oder Agenda Armut?“, kam jene Ambivalenz in der Wahrnehmung zum Ausdruck, die heute das Bewusstsein prägt. Häufig hat es weniger mit Analyse zu tun, als mit jenen diffusen Gefühlen, wo die in Deutschland (noch) vergleichsweise gute gesamtwirtschaftliche Lage auf massive soziale Verwerfungen trifft. Daran konnte auch die gestrige Sendung nichts ändern. Sie blieb dieser deutschen Gefühlswelt weitgehend verhaftet.
Das hatte vor allem mit dem Kontrahenten Frau Engelen-Kefers zu tun. Dem damaligen Minister für Wirtschaft und Arbeit, Wolfgang Clement. Dieser gehörte zu jenen damals modern genannten Sozialdemokraten, die zwar jede Reform machen wollten, allerdings eines nie begriffen haben: Warum sie eigentlich reformieren mussten – und vor allem was.
„Modell-Sirene des Verbändestaats“
Vielmehr begnügten sich „moderne Sozialdemokraten“ damit, im Chor mit wirklich fast allen Medien Frau Engelen-Kefer schrecklich zu finden. Der Stern-Kolumnist Hans-Ulrich Jörges etwa fühlte sich damals wie im „Engelen-Kefer-Land“; sie sei für ihn die „Modell-Sirene des Verbändestaats“, die „tagtäglich heult“. Auf diesem intellektuellen Niveau wurde damals in der größtmöglichen Koalition Reformpolitik als Gemeinschaftswerk der rot-grünen Bundesregierung mit der schwarz-gelben Opposition gemacht.
Die deutsche Volkswirtschaft war tatsächlich in einer schwierigen Lage gewesen. Die deutsche Einheit war noch nicht verdaut, der Euro erwies sich zu Beginn als Hypothek und die Öffnung der Märkte mit dem Stichwort Globalisierung setzten den Industriestandort Deutschland unter Druck. Dazu kamen jene berühmten Finanzmärkte, deren Effizienz so gepriesen wurde, dass der ehemalige Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer im Jahr 1996 in Davos diesen denkwürdigen Satz sprach: „Ich habe bisweilen den Eindruck, dass sich die meisten Politiker immer noch nicht darüber im Klaren sind, wie sehr sie bereits heute unter der Kontrolle der Finanzmärkte stehen und sogar von diesen beherrscht werden.“ Und Ökonomen wie Hans-Werner Sinn bemühten sich unter dem Stichwort „Basarökonomie“ zu beweisen, dass selbst die heute wieder hoch gelobte deutsche Industrie ein Auslaufmodell sei.
In Wirklichkeit waren Unternehmen und Gewerkschaften schon dabei gewesen, die Talfahrt durch Restrukturierung zu beenden. „Moderne Sozialdemokraten“ wie Clement steckten angesichts dessen ratlos in der Sackgasse. So verfielen sie auf jene magische Zauberformel, die überall propagiert worden war. Konsolidierung der Staatshaushalte bei gleichzeitigen Steuersenkungen für hohe Einkommensgruppen, Kürzungen von Sozialleistungen und ein Arbeitsmarkt, wo jeder wieder zum Schmied seines Glückes werden durfte. Konkret bedeutete das, was gestern Abend 75 Minuten lang unter den Stichworten Hartz IV und prekäre Beschäftigung diskutiert worden war.
Drohung, Einschüchterung und Repressalien
Die Folgen sind bekannt. Chrístiane Weimar, alleinerziehende Mutter und gelernte Bibliotheksassistentin, schilderte jene soziale Lage, wo der Bezug von Sozialleistungen zur Stigmatisierung der Betroffenen führt. Michael Pottel, ehemals arbeitslos und fast in Hartz IV abgerutscht, nannte das „den größten Albtraum, den man sich vorstellen kann.“