TV-Kritik:Anne Will : Auch der Islamismus gehört zu Deutschland
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Moderatorin Anne Will Bild: dpa
Auch bei Anne Will stritten die Gäste um die Frage, ob der Islam zu Deutschland gehört. Aber ist es überhaupt eine sinnvolle Frage? Ein Islamwissenschaftler und ein Anwalt hatten zumindest interessante Antworten.
Seit rund zwei Wochen kauen die Politiker der Republik nun schon auf diesem Satz herum, der Christian Wulff einst ins Visier der „Bild“-Zeitung brachte, den Satz, den auch Angela Merkel schon ein paarmal vorher gesagt hatte und nun auch deutlich genug, dass ihn auch ihre Parteifreunde nicht mehr ignorieren konnten: Der Islam gehört zu Deutschland.
Kaum ein Tag vergeht seitdem, an dem nicht irgend jemand eine neue Interpretation ausspuckt, wie er gemeint sein könnte, als handle es sich dabei nicht um eine Tatsachenbeschreibung, sondern um eine politische Forderung, zu der man sich in irgendeiner Art verhalten müsse; als würden die Bürgerrechte von vier Millionen deutschen Muslimen von der Zustimmung oder Zurückweisung einzelner Politiker abhängen.
Zuletzt schien es auf eine Art föderalistisches Wunschkonzert hinauszulaufen, bei der einzelne Landesfürsten glaubten die Sache par ordre du mufti regeln zu können. Andere dagegen verwiesen gerne auf eine Forsa-Umfrage aus dem vergangenen Jahr, in der 52 Prozent die Frage, ob der Islam zu Deutschland gehöre, verneinten. Es ist aber gar keine Frage.
Islam, Pizza, Ottolenghi?
Wenn Sie trotzdem bis zur Erschöpfung gestellt wird, in den Talkshows dieser Tage, dann ist das immer auch die Negation dieser Selbstverständlichkeit, weil es dort ja nicht um eine hermeneutische Interpretation der Aussage geht, sondern weil schon die Dramaturgie des Formats eine Debatte erfordert, zu der die Wirklichkeit aber gar nicht steht. Man kann über die Zugehörigkeit des Islams zu Deutschland genauso wenig diskutieren wie über die Frage, ob Pizzerien oder Aikido zu Deutschland gehören, da kann das Volk meinen, was es will. Worauf es aber meistens hinausläuft, so auch gestern bei „Anne Will“, sind eine Reihe völlig anderer Fragen: Welche Religionen haben die deutsche Kultur geprägt? Was sagt nochmal der Koran dazu? Und gibt es das überhaupt: den Islam?
Es dauerte dann auch nicht besonders lange, bis die Diskussion in der Vergangenheit angekommen war, bei jenem christlich-jüdischen Erbe, dessen ungeteilte Wertschätzung seitens der Deutschen man in den Tagen des Auschwitz-Gedenkens ja auch nur mit radikaler Blindheit behaupten kann. Bei Will war es die CDU-Politikerin Erika Steinbach, die jenes seltsame christlich-jüdische „wir“ ins Spiel brachte, das sich nicht nur im gemeinsame Glaubensprinzipien auszeichne, sondern auch durch gemeinsame „Feiertage“ und „Essgewohnheiten“. Wobei sie leider nicht ausführte, ob sie damit eher den Bayerischen Brauch des Chanukka meinte, die berühmte jüdische Currywurst oder doch all die Berliner Atheisten, unter deren Weihnachtsbäumen die arabischen Köfte-Rezepte des israelischen Starkochs Yotam Ottolenghi lagen.
Nach Anschlägen : Merkel: Islam gehört zu Deutschland
Steinbach war für die Rolle des besorgten Christkinds gecasted, in der sie sich mit absurden Beispielen vom Hörensagen zwar angemessen lächerlich machte, aber damit dann leider eben doch die Sendezeit füllte, die man mit einer ernsthaften Beschäftigung mit den Problemen des radikalen Islam und vor allem mit jenen der Debatte über ihn hätte füllen können. Stattdessen musste sich die verblüffte Runde mit längst tausendfach dekonstruierten Pauschalisierungen von Zwangsheirat bis zur Gewaltbereitschaft junger Muslime herumschlagen und mit empörend falschen Zahlen, die Anne Wills Redaktion zum Glück noch während der Sendung richtigstellen konnte. Die Hälfte aller Muslime zwischen 14 und 32, so Steinbach, würden Gewalt nicht ablehnen. Tatsächlich spricht die von ihr zitierte Studie des Bundesinnenministeriums von 24 Prozent mit „tendenzieller Gewaltakzeptanz“.