TV-Kritik „Maybrit Illner“ : Zynismus, Inkompetenz und Kompromisslosigkeit
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Maybrit Illner und der Brexit: Eine Diskussion mit Gästen, die ohnehin einer Meinung sind. Bild: ZDF/Svea Pietschmann
Der Brexit entwickelt sich zu einem Drama. Doch Maybrit Illner macht einen Fehler: Um es zu verstehen, bedarf es mehr als sechs Gäste, die aus der Perspektive der EU-Befürworter über das Thema diskutieren.
Talkshows werden von vielen Zuschauern häufig missverstanden. Es sind gerade keine Dokumentationen oder Nachrichtensendungen. Sie leben vielmehr von der Kontroverse um wichtige politische Themen. Wo weitgehend Einigkeit herrscht, lässt sich schlecht streiten. Solche Themen finden daher selten statt. Und weil diese Kontroversen einen ritualisierten Charakter mit zumeist bekannten Protagonisten haben, ist das Format zugleich ein Unterhaltungsprogramm.
Manchmal versuchen Talkshows aus diesem Muster auszubrechen. So auch gestern Abend bei Maybrit Illner. Für ihre Sendung über den Brexit sollte es mehr um eine Lagebeschreibung dieses britischen Dramas gehen als um die damit verbundenen innenpolitischen Konflikte bei uns. Aber Talkshows liefern eben auch einen guten Eindruck über das Selbstverständnis unserer politischen Klasse. Dazu gehören allerdings nicht nur Berufspolitiker, sondern auch Journalisten, Verbandsvertreter und Experten.
Hier war diese Sendung durchaus aufschlussreich, um unseren Blick auf das britische Drama zu verstehen. Er findet fast immer aus der Perspektive der Remainer statt. Dort werden die Leaver letztlich als ignorante Provinztrottel höheren Alters vorgestellt, aufgehetzt von bornierten Torys und Rechtspopulisten. Der Austritt aus der EU erscheint dann als Anschlag auf die Moderne, den die Jugend repräsentiert. Nun findet man in diesem Drama auf Seiten der Austrittsbefürworter zweifellos das genannte Personal. Boris Johnson ist nur ein besonders herausgehobenes Exemplar. Aber wenn, wie gestern Abend, sechs überzeugte Remainer diskutieren, ist die Lagebeschreibung, gelinde gesagt, unvollständig. Sie hat vor allem das Problem, den eigentlichen Kern dieses Konflikts zu verfehlen.
Dafür gab es für den Zuschauer interessante Beispiele. So das Einzel-Interview mit dem Labour-Abgeordneten Ben Bradshaw. Er machte zu Beginn einen netten Scherz über die Qualität dieser Diskussion, die besser sei als alles, was die konservative Regierung in den vergangenen beiden Jahren erzählt habe. In Wirklichkeit ist Bradshaw einer jener Labour-Politiker, die ihren eigenen Anteil an dieser Misere gerne unter den Tisch fallen lassen. Immerhin hatte er aber das Glück auf eine Moderatorin zu treffen, die seiner Märchenstunde wenig entgegensetzen konnte. Ansonsten hätte ihn Frau Illner fragen können, was mit den 25 Labour-Abgeordneten ist, die in einem offenen Brief die Forderung nach einem neuen Referendum strikt ablehnen. Sie werden deshalb gerade massiv unter Druck gesetzt. Oder warum sich sein Parteiführer Jeremy Corbyn neuerdings als Pro-Europäer vorstellt, obwohl er das offenkundig gar nicht ist. Zudem sprach sich Bradshaw für ein zweites Referendum und die weitere EU-Mitgliedschaft aus. Die Labour-Abgeordneten hatten allerdings ihren Wahlkampf vor noch nicht einmal zwei Jahren mit dem Versprechen geführt, das Ergebnis des Referendums zu akzeptieren.