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TV-Kritik: „Maischberger“ : „Da fehlt mir ein Stresstest wie bei den Banken“

Der SPD-Politiker Karl Lauterbach (links) und der Virologe Hendrik Streeck zu Gast bei Sandra Maischberger Bild: WDR/Melanie Grande

Bei Maischberger streiten der viel gescholtene Virologe Streeck und der SPD-Gesundheitspolitiker Lauterbach um die Corona-Maßnahmen. „Bild“-Journalist Strunz will „kein Klima der Sündenböcke“ – hat aber selbst schon einen Sündenbock ausgemacht.

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          Wir stehen vor der schwierigsten Phase der Pandemie, heißt es aus der Politik. 1000 Tote am Tag, nur gemächlich sinkende Infektionszahlen, dazu das unkalkulierbare Risiko verschiedener Virus-Mutationen. Für den Sommer warnt der bekannteste Virologe des Landes, Christian Drosten, schon vor 100.000 Infektionen am Tag. Und was macht Bodo Ramelow? Sitzt in der Ministerpräsidentenkonferenz und daddelt Candy Crush auf seinem Smartphone, wie er freimütig auf Clubhouse zugibt.

          Patrick Schlereth
          Redakteur vom Dienst bei FAZ.NET.

          Für den frischgekürten „Bild live“-Chef Claus Strunz hat sich der Thüringer Ministerpräsident damit als Verlierer der Woche empfohlen und „alle und jeden verhöhnt“, wie er sich bei Sandra Maischberger empört. Wer derartiges Verhalten amüsant finde, der solle sich nur die Zahlen in Thüringen anschauen. „Da gefriert mir das Lachen“, sagt er und verkneift sich das Lächeln tatsächlich für einen Augenblick. Dann holt er die ganz große Keule raus: Bei der Ministerpräsidentenkonferenz gehe es „am Ende des Tages um Leben und Tod.“

          Seine Mitdiskutanten, die Moderatoren Eva Schulz und Cherno Jobatey, sehen das nicht so streng. Schulz zieht Strunz damit auf, dass sich der Scharfmacher aus dem Sat.1-Frühstücksfernsehen bekanntermaßen ganz „gerne aufregt“, Jobatey schlägt vor: Wer regelmäßig mit voller Aufmerksamkeit zehnstündige Sitzungen durchhält, der werfe den ersten Stein.

          Stresstest des Gesundheitssystems

          Schade, dass der viel gescholtene Virologe Hendrik Streeck erst später zu Wort kommt an diesem Abend. Müssten Strunz‘ Ausführungen über „Leben und Tod“ für ihn doch zu jenen „Totschlagargumenten“ zählen, die eine sachliche Debatte über sinnvolle und sinnlose Maßnahmen in der Pandemie verhindern: „Wir dürfen diese Diskussion nicht emotional führen“, so Streeck. Er muss allerdings selbst aufpassen, dass er nicht in Verdacht gerät, die Gefahr des Virus wegzulächeln.

          Spätestens seit die Infektionszahlen zur kalten Jahreszeit rapide gestiegen sind, ist der Bonner Virologe in der öffentlichen Wahrnehmung tief gefallen. Das gilt nicht nur für Twitter, wo er unter dem Hashtag #sterbenmitstreeck für so ziemlich alles verantwortlich gemacht wird, was in der Pandemie schiefgelaufen ist. Im „Spiegel“-Interview mit Drosten provozierten die Fragesteller: „Einen größeren Schaden als Corona-Leugner haben im vergangenen Jahr wohl Experten angerichtet, die immer wieder gegen wissenschaftlich begründete Maßnahmen argumentiert haben, zum Beispiel Jonas Schmidt-Chanasit und Hendrik Streeck. […] Wann platzt Ihnen der Kragen?“

          Streeck lässt sich davon nicht beirren und bleibt auch bei Maischberger bei seiner Linie. In der jetzigen Situation sei der Lockdown notwendig. Wünschenswert wäre es aber, statt dem „Hammer mit dem Skalpell zu arbeiten“, etwa indem man herausfindet, an welchen Orten und in welchen Berufsgruppen Ansteckungen stattfinden. Man solle nicht nur auf Inzidenzen und absolute Infektionszahlen schauen, sondern auch und vor allem die Auslastung der Intensivbetten im Blick behalten. „Für den Arzt ist es wichtig, ob ein Mensch krank wird, ob er ins Krankenhaus muss.“ An welchem Punkt das Gesundheitssystem an seine Grenzen stoße, sei noch zu wenig erforscht: „Da fehlt mir ein Stresstest wie bei den Banken.“

          Inzidenzen versus Intensivbetten

          Streecks Gegenpol an diesem Abend ist nicht etwa Drosten, der wahrscheinlich Besseres zu tun hat, sondern Karl Lauterbach. Bei der Altersstruktur in Deutschland sei die Zahl der Neuinfektionen durchaus relevant, widerspricht der SPD-Gesundheitsexperte. „1,1 Prozent der Infizierten sterben, 1000 pro Tag. Da ist mir ehrlich gesagt egal, wie viele Intensivbetten wir haben.“ Lauterbach weist auf die möglichen Langzeitfolgen einer Infektion hin, spricht von eingeschränkter Nierenfunktion und eingeschränkter Hirnleistung. „Wir haben eine völlig falsche Idee davon, wer stirbt.“

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