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TV-Kritik „Hart aber fair“ : Mit Organspende das eigene Profil schärfen

Jens Spahn und Annalena Baerbock bei Frank Plasberg: Die Politiker nutzen die Debatte über Organspende geschickt, um ihr Profil zu schärfen. Bild: © WDR/Oliver Ziebe

Kommt mit der Widerspruchslösung bald der moralische Zwang zur Organspende? Bald wird nichts mehr so sein, wie es war. Die Berliner Politik-Gefechte haben bei Frank Plasberg ihre ersten Gewinner.

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          Es ist offenbar schon sehr dringend. Die Organspende soll, nein, sie muss neu geregelt werden. Das will nicht nur Bundesgesundheitsminister Jens Spahn so, das wollen alle. Sagen wir: alle, denen Moderator Frank Plasberg gestern für seinen „Hart, aber fair“-Talk das Wort erteilte.

          Joachim Müller-Jung
          Redakteur im Feuilleton, zuständig für das Ressort „Natur und Wissenschaft“.

          Und weil der größte Moralist in dieser Sendung ausgerechnet ein schreibender Arzt war, der als einziger konsequent für sich entschieden hat, am liebsten nichts mit der Organspende zu tun haben und sich überhaupt eigentlich moralisch enthalten zu wollen, um dann doch päpstlich an die verlorene Würde des Sterbenden zu erinnern, war es überhaupt keine Frage, dass das Gebot der Stunde nur lauten kann: Mehr Organe müssen her. Mehr Spender braucht das Land, ganz pragmatisch. Und so wird es ja nun wohl auch kommen: Weil der Handlungsdruck jetzt gefühlt riesengroß ist, wird in der Regelung der Organspende höchstwahrscheinlich schon bald nichts mehr so sein, wie es war.

          Die Ausgangsfrage für den Abend lautete: „Moralischer Zwang zur Organspende: Wollen Sie das, Herr Spahn?“ Neuntausend Schwerstkranke, die auf der Warteliste für ein Spenderorgan warten, aber nur neunhundert Spender  – dieses Missverhältnis schreit nach Veränderung und drängt schon im Ansatz den Streit um den Zwang in den Hintergrund. Wann hat man das auch schon mal: Dass eine Talk-Sendung politische Gewissheiten zu vermitteln vermag, wo gesellschaftlich hochgradig Unsicherheit herrscht und der Streit um Ethik und Recht schnell entweder ins ganz Grundsätzliche oder ins Persönliche abgleitet.

          Natürlich wollte Plasberg genau das provozieren. Doch die Protagonisten aus der moralischen Reserve zu locken war gar nicht so einfach. Denn offensichtlich waren diejenigen, die er sich zur Organspendedebatte vor die Kamera eingeladen hatte, moralisch ausgesprochen mit sich im Reinen. Die  Misere der Organspende konnten sie nur gemeinschaftlich beklagen. Ein Bild hingegen darüber abzugeben, wie die Stimmungslage in der Bevölkerung tatsächlich ist, war so kaum möglich. 

          80 Prozent wollen Organe spenden

          Die Politiker am Debattentisch, CDU-Minister Spahn und seine Gegenspielerin Annalena Baerbock von den Grünen, konstatierten stattdessen einen ganz grundsätzlichen Veränderungswillen im Volk und beriefen sich dazu auf die aus früheren Organspendedebatten schon bekannte achtzigprozentige Zustimmungsrate: Vier von fünf Bundesbürger geben in Umfragen normalerweise an, grundsätzlich zu einer Organspende bereit zu sein. Viel weniger jedoch besitzen einen Organspendeausweis und noch weniger kommen am Ende in die Situation, im Falle des Hirntodes auch tatsächlich zu spenden, weil der Wille – die Zustimmung zur Spende – entweder nicht verschriftlicht, durch die Angehörigen nicht mitgetragen oder in den Kliniken nicht ausreichend aktiv erfragt wird.

          Das Ergebnis ist noch während der Plasberg-Sendung von einem CDU-Freund Spahns gepostet worden: „Fakt ist auch: Zu viele entscheiden sich gar nicht, weder dafür noch dagegen. Diese zwei Fakten müssen wir ändern“.

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