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TV-Kritik: Anne Will : Der Gesundheitsminister hält Hof – und erteilt sich die Absolution

  • -Aktualisiert am

Während Anne Wills Talkrunde ist Gesundheitsminister Jens Spahn zum „Einzelinterview“ zugeschaltet. Bild: NDR/Wolfgang Borrs

Impf-Chaos, Dauer-Lockdown und Corona-Müdigkeit – in der Bevölkerung wächst ein gefährlicher Unmut. Doch die Verantwortlichen scheinen über der Stimmung zu schweben. Nicht nur Jens Spahn lieferte dafür ein eklatantes Beispiel.

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          Wer diese Woche Angela Merkel im ARD-Interview gesehen hat, dürfte seinen Augen und Ohren nicht getraut haben. Im Großen und Ganzen sei nichts schiefgelaufen, gab die Bundeskanzlerin zum Besten. Zwar war die Formulierung vor allem auf die Impfstoff-Beschaffung gemünzt, aber weder dort noch in der übrigen Corona-Politik werden viele Menschen in Deutschland diese Sichtweise der Regierungschefin teilen.

          Das Vertrauen der Menschen in die Regierung sinke aktuell stark, stellte denn auch Cornelia Betsch gleich zu Beginn der Sendung von Anne Will fest. Befürworteten im vergangenen März noch 60 Prozent der Bevölkerung die Corona-Maßnahmen, seien es derzeit lediglich noch 40 Prozent, referierte die Professorin für Gesundheitskommunikation an der Universität Erfurt ihre Untersuchungen. Ihre Diagnose: Das Vertrauen sinkt, während allgemeine Corona-Müdigkeit wie auch die psychischen Belastungen der Bevölkerung steigen. Dabei würde den Menschen zwei simple Dinge schon helfen: Einheit und Einfachheit der Regeln. In Bezug auf die Bundesregierung sagte Betsch: Jede andere Strategie wäre besser.

          Wow. Es ist ein Auftakt mit Tusch, der Kontrast zur Bundeskanzlerin könnte kaum größer sein.

          Auch Anne Will stand an diesem Abend zumindest mit dem Sendungstitel näher bei Frau Betsch als bei der Kanzlerin: „Schwindendes Vertrauen ins Corona-Krisenmanagement – was muss jetzt passieren?“, überschrieb das Produktionsteam die Talkshow. Angesichts des bevorstehenden Bund-Länder-Gipfels am kommenden Mittwoch wartet wohl jeder auf entsprechende Antworten der Verantwortlichen. An diesem Abend waren das neben Cornela Betsch aus Erfurt und dem Journalisten Georg Mascolo vor allem Manuela Schwesig (SPD-Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern), Ralph Brinkhaus (Unionsfraktionsvorsitzender im Bundestag) sowie Sahra Wagenknecht von der Linken. Als besonderes Highlight war zudem Gesundheitsminister Jens Spahn zugeschaltet – und zwar zum Einzelinterview. Aber dazu später mehr.

          Deutsche Selbstgefälligkeit

          Georg Mascolo befeuerte zunächst den heißen Auftakt von Betsch noch weiter, indem er klarstellte, wie die deutsche Politik durch ihre Selbstgefälligkeit in der ersten Phase der Pandemie („Pandemie-Weltmeister“) und im Sommer („das kann ja niemand besser als wir“) wichtige Zeit im Kampf gegen Corona verschenkte. Nun treffe uns die Pandemie tatsächlich mit voller Härte. „Und wo wir jetzt, wenn wir ehrlich sind, noch nicht einmal sagen können, ob wir das Schlimmste hinter uns haben oder ob wir das Schlimmste noch vor uns haben.“ Und so drängt sich die Frage der Sendung auf: Was muss jetzt passieren?

          Sahra Wagenknecht von der Linken machte den Anfang und forderte gezieltere Maßnahmen. So seien beispielsweise Restaurants doch keine Infektionsherde und könnten deshalb wieder geöffnet werden. Auch habe man den Einzelhandel zwangsweise geschlossen, während sich die Logistikzentren des Pandemie-Gewinners Amazon als Corona-Hotspots entpuppt hätten.

          Von den in Regierungsverantwortung stehenden Teilnehmern bekam schließlich der Unionsfraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus als Erster die Gelegenheit für Klarheit zu sorgen – und eventuell etwas Hoffnung und Zuversicht bei den Menschen zu wecken. Doch Brinkhaus hatte an diesem Abend vor allem einen riesigen Strauß von Allgemeinplätzen mitgebracht. Man müsse Dinge im Kontext sehen. Aus der Rückschau betrachtet hätte man das Ein oder Andere sicherlich anders machen können. Wir müssen ja nach vorne schauen. Und: Da müssen wir dran arbeiten.

          Kurze Zwischenfrage an dieser Stelle: Ist Ihnen noch klar, worüber dieser Mann da spricht? Geht es um seine Leistung im letzten Bundesligaspiel, um die Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes oder doch um die Corona-Politik der Bundesregierung?

          Lockdown soll verlängert werden

          Zwischen all diesen Nebelkerzen ließ Brinkhaus dann noch tatsächlich wichtige Informationen ganz beiläufig im Nebensatz fallen, beispielsweise, dass man für Mittwoch (also beim nächsten Bund-Länder-Gipfel zur Corona-Politik) die Entscheidung anstrebe, den Lockdown nochmals einige Wochen weiterzuführen. An dieser Stelle war nun klar: Der Mann spricht doch von der Corona-Pandemie. Und seine neuen Ideen für die kommenden Wochen ist ein plumpes „weiter so“. Anne Will machte dabei auch nicht die beste Figur: Weder unterbrach sie die Brinkhaus‘schen Floskeln, noch hakte sie bei der beiläufigen Lockdown-Verlängerung nach.

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