TV-Kritik „Sandra Maischberger“ : Ein vorweihnachtlicher Beschluss
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Schalte nach Schwerin: Manuela Schwesig im Gespräch mit Sandra Maischberger Bild: WDR/Max Kohr
Am Mittwoch wurde der Lockdown verlängert. Dem Eindruck der Kurzatmigkeit und Hilflosigkeit konnte man allerdings nicht widersprechen.
Mittlerweile haben wir Bürger uns in dieser Pandemie an ein im Grundgesetz nicht vorgesehenes Gremium namens Ministerpräsidentenkonferenz mit der Bundeskanzlerin gewöhnt. Diese erinnert an die endlos langen EU-Gipfel in Brüssel, es fehlen halt nur die vor dem Konferenzraum vorfahrenden Staatskarossen zumeist deutscher Hersteller. Heutzutage findet das virtuell statt, aber dafür dauert es trotz der akribischen Vorbereitung durch 16 Staatskanzleien und einem Bundeskanzleramt fast genauso lange. Für die berichtenden Journalisten ist das eine Zeit des Wartens. Schließlich kam ein sechzehn Seiten langer Beschluss heraus, der für die Freunde bürokratischer Formulierungskunst ein vorweihnachtlicher Festtagsschmaus sein muss.
„Wir als Wirt bestimmen die Dynamik der Pandemie“
Die Gäste von Frau Maischberger gehörten sicherlich nicht zu dieser recht seltenen Spezies. Allerdings war die Ministerpräsidentin aus Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig (SPD), als zugeschalteter Interviewgast dabei, und sie hatte das Papier mitbeschlossen. Dort beschäftigen sich die Autoren mit einer zentralen Frage: Wie können wir unsere sozialen Kontakte reduzieren, um die Infektionsdynamik der vergangenen Wochen zu unterbrechen? Warum das von zentraler Bedeutung ist, vermittelte Dirk Brockmann. Er leitet die Forschungsgruppe „Epidemiologische Modellierung von Infektionskrankheiten“ am Robert-Koch-Institut (RKI). Der Physiker ist ein nüchterner Mensch, der unser aller Verhalten in Modellen abzubilden versucht. Dabei geht es um eine grundlegende Erkenntnis, die er so formulierte: „Wir als Wirt bestimmen die Dynamik der Pandemie.“ Das hört sich trivial an, ist es aber nicht. Brockmann kann Szenarien entwickeln, um die Infektionsdynamik unter sich verändernden Bedingungen zu beschreiben. Das ist schon viel, aber trotzdem hat dieses Forschungsgebiet seine unvermeidlichen Grenzen. Die beschrieb in einem späteren Interview Cihan Çelik so: Es gäbe bisher „wenig Evidenz und wenig Beweismaterial, was uns wirklich hilft“, außer „die Kontakte zu reduzieren. Nur wie kommen wir dort hin?“ Der Darmstädter Lungenfacharzt ist beruflich mit diesem Thema seit Monaten beschäftigt. Er hat sich als Arzt sicherlich auch an alle Vorsichtsmaßnahmen gehalten, trotzdem hatte er sich vor wenigen Wochen infiziert.
Hier lesen Sie das Interview mit dem Arzt zu seiner eigenen Erkrankung.
Die Politik hat es mit einem grundlegenden Widerspruch zu tun. Zwar reduziert die weitgehende Unterbindung sozialer Kontakte die Infektionsdynamik, dafür steigen die sozialen und ökonomischen Kosten einer solchen Politik. Entsprechend sah der Beschluss des Abends aus. Dort lesen wir Bürger lauter Appelle und Empfehlungen, die sich aber mit einem bisweilen an Realsatire erinnernden Regelungsbedarf abwechseln. So wird eine Maskenpflicht auf Parkplätzen verordnet, obwohl sich dort wahrscheinlich bisher niemand angesteckt hat. Wenn ein Bürger zufälligerweise seinen Balkon über einen solchen Parkplatz haben sollte, muss er dort in Zukunft ebenfalls eine Maske tragen?
Warum sich die deutsche Politik dann nicht auch mit der in China gerade diskutierten Problematik einer Infektion durch Tiefkühlprodukte beschäftigt hat, ist ein Rätsel. Immerhin hat aber die Regierung in Peking die in Verdacht geratene Schweinshaxe aus Bremen mittlerweile freigesprochen. Gleichzeitig haben die Bundes- und Landesregierungen zwar die rechtlichen Komplikationen eines Verkaufsverbot für Feuerwerkskörper erkannt, aber dafür eine neue Regelung gefunden. Jetzt wird „auf belebten Plätzen und Straßen die Verwendung von Pyrotechnik untersagt, um größere Gruppenbildungen zu vermeiden.“ Dabei sollen „die örtlich zuständigen Behörden die betroffenen Plätze und Straßen bestimmen.“ Wenn die Kommunen das vor Silvester durch Verordnung umsetzen sollten, treffen sich manche vielleicht in den Nebenstraßen. Und ab wann gilt eine Straße überhaupt als belebt? Aber dafür will sich laut Beschluss die Verkehrsministerkonferenz mit der Schulbusproblematik beschäftigen. Dort treffen sich laut gut informierter Kreise zumeist mehr als die zehn Personen, die dieses Jahr gemeinsam die Festtage verbringen dürfen. Manche sollen sogar jünger als vierzehn Jahre alt sein, die wiederum beim Weihnachtsschmaus nicht mitgezählt werden.