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TV-Kritik: „Katrin Bauerfeind“ : Jedem seine Verschwörungstheorie

  • -Aktualisiert am

Moderatorin Katrin Bauerfeind mit ihren Studiogästen: Micky Beisenherz, Oliver Pocher und Sebastian Bartoschek (v.l.) Bild: obs

Ein neues Format bei ARD One setzt auf das Talent der Gastgeberin, albern seriös zu sein. Oder umgekehrt. Geht das gut? Bei der Sendung zum Thema „Jedem seine Wahrheit“ müssen sich Verschwörungstheoretiker jedenfalls warm anziehen.

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          Das Kräfteverhältnis zwischen Wahn und Wirklichkeit ist nicht durch vertikale Vernunft aufzulösen. Mit dem Wahn zu spielen macht das Wirkliche porös. Interessant wird es, wenn das eine vom anderen kaum zu unterscheiden ist. Frau Bauerfeind impft ihr Publikum mit Zweifel – das geht bei ihr berührungsfrei.

          Ihr erster Gast ist Oliver Pocher, der für einen guten Gag auch seine Großmutter verkaufen würde. Säße an seiner Stelle ein Faktenchecker, etwa aus der Spiegel-Redaktion, wäre Häme kaum zu vermeiden gewesen. Aber weil man Pocher nichts abkaufen muss, kann er frei drehen und zeigen, welche Logik hinter wirksamen Verschwörungstheorien steckt: Jeder bekomme heute ein Forum, egal wofür. „Anything goes“, wusste schon Cole Porter. Die Welt spielt verrückt.

          Pochers Lieblingsverschwörungstheorie ist die Angst vor Chemtrails. Das sind die Kondensstreifen hinter Flugzeugdüsen, durch die die Menschheit chemisch besprüht und manipuliert werde. Wer das nur ernst genug behauptet, komme leichter an Medikamente. Oliver Pochers Eltern sind Zeugen Jehovas. Daher weiß er,  wie es um das göttliche Aufräumen bestellt ist. Schon als Kind hatte er keine Lust darauf, mit der Jehova-Botschaft andere Leute heimzusuchen.

          Nur keinen reinlassen

          Frau Bauerfeind nimmt den Ball auf und dreht eine berühmte Theaterszene aus dem Stück „Groß und klein“ von Botho Strauß um. Jetzt steht nicht mehr Lottekotte vor dem Klingelschild des Hochhauses, jetzt redet die junge Katrin von oben herab zu den Zeugen Jehovas vor der Tür da unten und probt mit ihnen ihr erwachendes Showtalent. Sonst stehen da unten Gebühreneintreiber, Steuerfahnder oder die Stasi. Nur ja keinen reinlassen!

          Die Studiodekoration sieht aus, als hätte man Melania Trump damit beauftragt, viel Blau und Gold mit Vintage-Sperrmüll aus Düsseldorf-Grafenberg zu kombinieren. Gediegener Trash, tonnenschwer, unverrückbar, als sei das Zeug in den Boden gerammt. Wie geschaffen dafür, hier heraus die Leichtigkeit des Seins gegen erdenschwere Verschwörungstheorien zu verteidigen.

          Vergesst die Frage des Pilatus

          Als kürzlich der amerikanische Präsident Trump dem Verleger der New York Times, A.G. Sulzberger, ein Interview gab, nutzte der die Chance für eine Ermahnung, Trump möge seine Rhetorik gegen freie Medien mäßigen. Trump aber bleibt bei seiner Rhetorik. Wer wie er „fake news“ kritisiert, erhebt sich zum Schiedsrichter darüber, was wahr ist, bis die Pilatusfrage endlich ganz in Vergessenheit geraten ist. Was ist schon Wahrheit!

          Der Moderator und Komiker Micky Beisenherz, „Spross einer Gas-, Wasser- und Scheiße-Dynastie“, so stellt er sich vor, erinnert an die Attentäterin Adelheid Streidel, die 1990 beinahe Oskar Lafontaine getötet hätte, und ihre wüsten Phantasien von Tötungsfabriken. Keine Verschwörungstheorie kommt ohne Judenhass aus. Das braucht man nicht nachzuäffen. Wer auf alles vorbereitet sein will, kann sich beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe mit Checklisten versorgen und wöchentlich die Lebensmittel- und Getränkevorräte für mindestens zehn Tage kontrollieren.

          Ernst oder Fake?

          Pocher und Beisenherz spielen mit den Ängsten, werfen sich die Bälle hinterm Rücken zu und jonglieren damit. Atomkrieg? Warum sollte in zwei Wochen der Strom ausfallen? Wird alles gesteuert! Klopapier für mindestens vier Wochen! Die Versatzstücke erzeugen einen eigenen Sound, in dem sich die Anhänger solcher Ängste wiedererkennen können. Fühlen sie sich ernst oder auf den Arm genommen? Das ist Bauerfeinds Betriebsgeheimnis.

          Bekommt Kim Kardashian einen Schönheitspreis für ihren Hintern? Darf ein Pinscher zum Vorbellen nicht in den Zeugenstand eines Münchner Gerichts? Gibt es eine neue Marke, die Nein sagt zu Mikroplastik und Massentierhaltung?

          Prüfen Sie sich selbst: Was ist wahr, was fake? Ob Rudolph Moshammers Daisy durch entschiedeneres Bellen den Mord an ihrem Herrchen verhindert hätte? Aber wer nimmt als entschlossener Mörder schon einen Yorkshire-Terrier ernst?

          Die Runde wird schließlich, halbwegs, geerdet durch den unvermeidlichen Experten. Sebastian Bartoschek hat eine Doktorarbeit über Verschwörungstheorien geschrieben. Problematisch werden sie, wenn man um ihr loses Garn weitere Annahmen strickt und sich darin verfängt. Gesunde Skepsis sei geboten. Wer hartgesottenen Verschwörungstheorien anhänge, stelle keine Nachfragen. Für Verhängnisse gibt es triviale Erklärungen. Manche Leute können mit Pech nicht umgehen.

          Ist die deutsche Fußballnationalmannschaft schon in der Vorrunde aus der WM geflogen, weil man endlich Jogi Löw los werden wollte? Das hat noch nicht geklappt. Ist Stevie Wonder gar nicht blind, musste aber – nachdem das Gerücht schon in der Welt war – über 50 Jahre lang so tun, als ob? Fragen über Fragen. Sie belegen, dass Frau Bauerfeind ein leichtes Händchen dafür hat, auch mit tonnenschweren Fragen zu jonglieren.

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