TV-Kritik: „Günther Jauch“ : Schlafwandler auf dem Weg in die Katastrophe
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Moderator Günther Jauch Bild: dpa
Der Konflikt um Griechenland scheint kaum lösbar. Jauchs Sendung zeigte: Wie kurz vor dem Ersten Weltkrieg ist die Führung Europas wegen innenpolitischer und ideologischer Zwänge kompromisslos. Eine gefährliche Situation.
Vielleicht gibt es in Zukunft einen Historiker, der über die „Schlafwandler“ in der Europäischen Union ein vergleichbares Buch schreibt, wie Christopher Clark über den Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Wie das europäische Projekt mit Volldampf vor die Wand gefahren ist, weil alle Akteure im Gegensteuern keine Alternative mehr sahen. Sie waren von ideologischen Überzeugungen und innenpolitischen Zwängen geprägt, zudem mit der Funktionslogik europäischer Institutionen heillos überfordert. Ob dieses Mal Weihnachten alles vorbei sein wird? Solche Krisen lebten schon immer von der fehlenden Vorstellungskraft über mögliche Konsequenzen.
Politiker und Technokraten
Dieser fiktive Historiker sollte sich Jauchs Sendung von gestern Abend ansehen. Dort wurde deutlich, was in der eskalierenden Griechenland-Krise dieser Tage das Problem ist. Das machte sich an zwei Gäste fest: Am Syriza-Berater Theodoros Paraskevopoulos und an Klaus Regling, geschäftsführender Direktor der europäischen Rettungsschirme ESM und EFSF. Es war der Konflikt zwischen einem Politiker und einem Technokraten. Für Paraskevopoulos ist Syriza die Vertretung der „Armen und Ausgegrenzten“ in Europa. Zudem stritt er sich mit Regling über die Rolle des IWF in den vergangenen Jahrzehnten. Es geht somit keineswegs nur um Griechenlands Zukunft in der Eurozone, sondern um eine Grundsatzfrage europäischer Politik. Regling war bei den Verhandlungen in Brüssel dabei gewesen. Bei Paraskevopoulos kam für Regling das Problem zum Ausdruck, was die Eurogroup seit Februar mit der neuen Regierung in Athen hat.
Es ginge ihr nicht „um Mehrwertsteuersätze“, sondern um das „Wirtschaftssystem“, so Regling, wogegen die anderen Ministerien in der Eurogroup etwas völlig anderes erreichen wollten. Nämlich wie Griechenland die verbindlichen Zusagen zur Haushaltskonsolidierung in den kommenden Jahren einhalten will. Regling ist dabei nicht der unpolitische Technokrat seligen Angedenkens. Die Grundlage seiner Argumentation ist schließlich die Öffnung von Märkten als Funktionsmechanismus der europäischen Integration. Das kann man Neoliberalismus nennen, ihn auch ökonomisch und politisch kritisieren. Aber das Argument des früheren bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (CSU) der Regelgebundenheit kann man nicht einfach ignorieren, selbst wenn man diese Regeln für falsch hält. Stoiber nannte dafür zwei Kennziffern: Die Höchstgrenze der jährlichen Nettoneuverschuldung von 3 % und ein Staatsdefizit von 60 %, beides im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt.
Wechselseitige Verlogenheit
Wie gesagt: Diese Regeln beruhen auf einer politischen Entscheidung und sind nicht das Ergebnis der höheren Weisheit technokratischer Logik. Aber sie können nur einvernehmlich geändert werden, während es in der Umsetzung dieser Regeln durchaus gewisse Interpretationsspielräume gibt. Diese wurden bekanntlich in der Vergangenheit vielfältig genutzt. Aber jede Regierung leidet an einer grotesken Selbstüberschätzung, wenn sie diese Grundsatzentscheidung im Alleingang zu ändern versuchen sollte. Da kann man sich als Sachwalter der Mühseligen und Beladenen begreifen: Es ist sinnlos, wenn nicht die Schwesterparteien von Syriza im übrigen Europa ebenfalls die Regierungen stellen sollten. Da nützt es nichts auf die Situation in Deutschland hinzuweisen, wie es Paraskevopoulos machte, als er auf Lohnzurückhaltung und Rentenkürzungen hingewiesen hatte.
Man kann diese Kürzungen sogar für einen politischen Fehler halten. Nur wird sich bei den Brüsseler Verhandlungen über Griechenlands zukünftige Refinanzierung niemand für solche Argumente interessieren, weil sie zum Eingangstor für ideologische Konflikte werden. Anschließend könnte man nur noch den Dissens feststellen. Jeder, der das versucht, wird sich am Ende isolieren.
Hinweis an Washington
Das ist Syriza passiert, spätestens mit der Ankündigung des Referendums am kommenden Sonntag. Es ginge dort „um die Frage, ob das Ultimatum angenommen wird oder nicht“, so Paraskevopoulos. Er meinte damit die Vorschläge der Eurogroup aus der vergangenen Woche. Der Syriza-Berater kritisierte zudem den vorherigen ARD-Brennpunkt zum Streit in der EU als „Propaganda“ der deutschen Politik. Den mag man kritisieren, allerdings gibt es in diesem Konflikt eine Gemeinsamkeit zwischen beiden Konfliktparteien: Das ist ihre wechselseitige Verlogenheit. Oder glaubt jemand ernsthaft, dem Ministerpräsidenten in Athen geht es beim Referendum um die Rettung der Demokratie?