TV-Kritik Anne Will : Die Verlogenheit des deutschen Asylrechts
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Anne Will widmet sich in ihrer Sendung (hier mit Stephan Mayer und Katrin Göring-Eckardt) dem Bremer Bamf-Skandal: Es ist ein Schauspiel über institutionalisierte Heuchelei. Bild: NDR/Wolfgang Borrs
Der Bremer Bamf-Skandal offenbart die Grundprobleme des deutschen Asylrechts. Auch bei Anne Will wird klar: Auf der Strecke bleibt vor allem der Rechtsstaat – den sich aber alle politischen Lager auf ihre Fahnen schreiben.
Gestern Abend erlebten die Zuschauer in der Sendung von Anne Will ein typisch deutsches Schauspiel: Auf der Bühne geht es um den Rechtsstaat als Rechtsmittelstaat. Mit Stempel und Unterschrift wird aus einem Flüchtling nicht nur ein anerkannter Asylbewerber oder eine Person ohne gültigen Aufenthaltsstatus. Damit wird zugleich ein Werturteil gesprochen. Ist dieser Flüchtling ein guter oder ein schlechter Mensch?
Dabei hatte Anne Will einen interessanten Ansatz für ihre Sendung. Ob die Vorgänge um die Bremer Außenstelle des „Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge“ (Bamf) ein „Systemfehler oder ein Einzelfall“ sind. Leider wurde diese Frage nicht beantwortet.
Nur in Deutschland hält man nämlich den Bescheid einer Behörde oder das Urteil eines Verwaltungsgerichts für eine höhere Form der Wahrheit. Deshalb war sich Stephan Mayer (CSU) mit Boris Pistorius (SPD) und Katrin Göring-Eckardt (Grüne) in einem Punkt einig: die „Qualität der Asylbescheide“ des Bamf steigern zu wollen.
Fragliche Bemessungsgrundlage
Uneinigkeit bestand nur in der Frage, wie die Quote der von Verwaltungsgerichten aufgehobenen Bescheide des Bamf zu berechnen war. Frau Will sprach in einem Einspieler von vierzig Prozent, während Mayer auf zweiundzwanzig Prozent beharrte. Es ging um die Bemessungsgrundlage. Sollen alle Verfahren gezählt werden, oder nur die ergangenen Urteile? Frau Göring-Eckardt wies zudem auf die laut Weltbank zu erwartenden „Klimaflüchtlinge“ hin, um vor einem neuerlichen Personalabbau beim Bamf zu warnen. Entscheider beim Bamf und Richter an Verwaltungsgerichten wären so mit der bürokratischen Abarbeitung eines welthistorischen Ereignisses befasst.
Entsprechend bestritt Mayer in seiner Funktion als parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium jegliche politische Einflussnahme seines Hauses auf das Bundesamt, um die Zahl der positiven Asylbescheide zu reduzieren. In Deutschland darf nichts den Eindruck trüben, solchen Bescheiden fehlte es an Objektivität.
Verwunderung über eine Behörde
Dabei bieten die Vorgänge um die Bremer Außenstelle einen einzigartigen Einblick in die Verlogenheit des deutschen Asylrechts. Es beruht auf politischer Heuchelei. Das gilt für alle Akteure. Natürlich stand das Bamf noch vor wenigen Jahren unter der politischen Vorgabe einer möglichst restriktiven Entscheidungspraxis. Dem stand als politischer Antagonist ein Netzwerk gegenüber, das den Flüchtlingen bei der Durchsetzung ihrer Rechtsansprüche halfen. Es bestand aus Organisationen wie „Pro Asyl“ oder „Amnesty international“ und konnte auf hoch spezialisierte Juristen zurückgreifen. Vor Ort halfen Flüchtlingsräte, die Kirchen oder auch Wohlfahrtsverbände. Zum politischen Kampfplatz dieser Antagonisten wurden die Verwaltungsgerichte.
Objektiv ist daran gar nichts, vor allem ist niemand der Wahrheit verpflichtet. Selbstredend wird ein Antragsteller nur solche Sachverhalte vorbringen, die ihm einen Aufenthaltsstatus ermöglichen. Die wenigsten Flüchtlinge sind zudem Spezialisten im deutschen Asylverfahrensrecht. Erst das Netzwerk der Flüchtlingshilfe ermöglicht es den Flüchtlingen, die rechtlichen Möglichkeiten zu nutzen, die ihnen der Gesetzgeber eingeräumt hat. Alexander Dobrindts (CSU) Bemerkung von der „Anti-Abschiebeindustrie“ ist deshalb pure Polemik. Das Asylverfahrensrecht zu nutzen, ist das gute Recht eines jeden Betroffenen. Selbst wenn es einem wegen möglicher Konsequenzen „nicht passt“, wie es Pistorius formulierte.