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Troll-Kommentare : Meine Tage im Hass

Dir geb ich’s: Die Kommentarfunktion im Internet lädt zu verbalen Tiefschlägen ein. Es gibt mehr Hassprediger, als man denkt. Bild: ullstein bild

Ich arbeite in der Online-Redaktion. Von manchen Lesern bekomme ich jeden Tag was zu hören: „Neunmalkluge“, „Hetzpresse“, „widerliche Kriegstreiber“. Kritik, so scheint es, war gestern, heute herrscht Kampf. Soll ich das persönlich nehmen?

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          Stellen Sie sich vor, Sie sind Bäcker. Und jeder Kunde, der Ihren Laden betritt, teilt Ihnen in ziemlich deutlichen Worten mit, dass Ihre Brötchen nun wirklich das Letzte seien, dass jedes Kind bessere Brötchen hinbekäme, dass Sie unqualifiziert seien, für diese Arbeit ganz und gar ungeeignet, die Preise vollkommen überzogen, dass Sie ja ohnehin Mitglied der Bäckermafia seien und sich alle Bäcker verschworen hätten, das Volk mit miesen, pappigen, gesundheitsschädlichen, überteuerten Brötchen zu vergiften, weshalb das gesamte Bäckerhandwerk es verdiene, gefälligst unterzugehen. Zum Abschluss sagt jeder noch etwas Unflätiges und packt einen Stapel Papiertüten ein, denn die gibt es ja umsonst. So ungefähr fühlt es sich an, Journalist zu sein, wenn man sich nicht vollkommen abschottet, sondern ab und an Leserkommentare liest.

          Andrea Diener
          Korrespondentin im Main-Taunus-Kreis

          Ich bin Journalist. Das bedeutet, dass so ungefähr jeder meiner Leser glaubt, meinen Job fünfmal besser erledigen zu können als ich, es aber nicht tut, weil er das Gehalt zu mickrig findet. Und da bleibt ihm nur eins: Beschimpfung. Ein freundlicher Briefeschreiber schickte der Online-Redaktion vor einigen Tagen folgende Mitteilung: „Hallo Zensor-Arschloch. Schreib doch die Kommentare selbst. Du kleiner Flach-Wichser.“ Ein anderer merkte an: „Stalin, PolPot, die Kims sind Waisenknaben gegen Ihre Zensur. Die FAZ ist ein WIDERWÄRTIGES MANIPULATIONS- und AGITATIONSINSTRUMENT!!!“ Und einer steigert sich eher langsam aus einer Aufzählung, was „die Medien“ seiner Ansicht nach alles als Populismus bezeichneten, in folgenden Monolog: „Ach, was ermüdet Ihr mich, wie erbärmlich ist das, was Ihr schreibt. Ihr Neunmalklugen Journalisten, die ihr NICHTS zur realen Wertschöpfung dieses Landes beitragt, sondern immerzu nur dummes Zeug redet, schreibt und verfilmt. Ihr habt abgewirtschaftet allesamt. Ihr wisst es nur noch nicht. Ihr missbraucht Eure Rolle als Vierte Macht im Staate - und die Populismuskeule ist Eure einzige Waffe. Jämmerlich, erbärmlich. Ich schäme mich für Euch.“

          Alle diese Kommentare sind immerhin noch nicht persönlich, denn dann tut es richtig weh. Jeder Fehler wird mit dem Gestus der Herablassung aufgezeigt, nebenbei ein Autor beleidigt, und das Ganze gipfelt meist in der Feststellung, dann könne man ja auch gleich die „Bild“-Zeitung lesen. Themen, die ein wenig zu bunt sind: „Bild“-Zeitung. Themen, die nicht interessieren: „Bild“-Zeitung. Falsch gesetzte Kommas: „Bild“-Zeitung. Bisher ist mir noch kein Leser bekannt, der seine Drohung wahrgemacht hätte. Die Kommas korrigieren wir natürlich trotzdem immer.

          Mit „Hallo Arschloch“ begrüßt

          Es scheint zunächst einmal sehr billig, sich über unliebsame Lesermeinungen lustig zu machen, und lässt uns Journalisten auf unangenehme Art larmoyant dastehen. Doch auf Dauer geht es nicht spurlos an einem vorüber, so sehr man sich bemüht, sie greifen einen an. Ich lese diese Kommentare voller Hass, voller Herablassung jeden Tag, denn ich bin, wenn ich nicht gerade Reisegeschichten schreibe, auch für die sozialen Medien zuständig. Meist werde ich als „dieser Praktikant“ angesprochen. Das ist mir egal. Weniger egal ist, dass es anscheinend als normal angesehen wird, Redaktionsmitgliedern gegenüber eine verbale Aggressivität an den Tag zu legen, die einen immer wieder kalt erwischt.

          So stehen also Leser vor unserer virtuellen Fassade, beleidigen fröhlich vor sich hin und denken, sie würden nicht gehört. Da sei ja ohnehin keiner. Das ist allerdings ein Trugschluss: Da sind schon Menschen. Die allerdings schalten ab, wenn sie in Zuschriften und Kommentaren mit „Hallo Arschloch“ begrüßt werden, und zwar aus reinem Selbstschutz. Je heftiger, lauter, beleidigender der Kommentar, desto schneller ist der Finger auf der Löschtaste. Die darauf folgenden „Zensur!“-Rufe kommen bald und zuverlässig. Und schließlich Mails und sogar Anrufe, ob wir mit Kritik denn nicht umgehen könnten. Doch, können wir. Nur mit Beleidigungen nicht. „Arschloch“, „Hetzpresse“, „widerliche Kriegstreiber“ - was soll man darauf antworten?

          Dazu kommt, dass die meisten Beleidigungen aus einer politischen Richtung kommen, die man früher einmal als „konservativ“ klassifiziert hätte, das angesichts neuester Ausprägungen aber nur noch widerwillig tut. Konservative nahmen für sich in Anspruch, die Form zu wahren, dazu korrekt und höflich zu sein. Der Konservative früherer Tage legte Wert auf Konventionen und Umgangsformen und warf dem linken Langhaarigen vor, genau das nicht zu tun.

          Der Troll als Korrektor einer gleichgeschalteten Presse

          Mittlerweile haben sich die Verhältnisse umgedreht. Höflichkeit gilt dem konservativen Kommentartroll als „Gutmenschengetue“, jegliche Standards gepflegten Umgangs lehnt er ab. Eine Gemeinschaft gilt ihm nur dann etwas, wenn sie aus Gleichgesinnten besteht, alles Abweichende wird ausgeschlossen. Er ist von einem enormen Sendungsbewusstsein getrieben, fühlt sich als Sprachrohr einer schweigenden Mehrheit, als radikal ehrlich. Er beleidigt schonungslos, besonders gerne Minderheiten, und wer ihn zurechtweist, wird als „Zensor“ diffamiert. Er wähnt sich unterdrückt, gegängelt, von einem linken Medienmainstream mundtot gemacht und kompensiert seine vermeintliche Hilflosigkeit mit Unflat. Sein Vokabular ist ein psychopathologisches: An zeitgenössische Themen werden die Suffixe -wahn, -hysterie, -lüge und -keule angehängt, um sie als Massenpsychose zu diskreditieren. So leben wir nach seiner Wahrnehmung in Zeiten des Genderwahns, der Klimalüge, der Multikultihysterie und der Populismuskeule.

          All das betreibt der beleidigende Kommentator aber nicht verschämt unter dem Schutz der Anonymität, wie man annehmen könnte, sondern öffentlich, unter Klarnamen. Er versteht sich als dringend notwendigen Korrektor einer gleichgeschalteten Presse und möchte Aufklärung leisten. Er ist stolz auf seine Arbeit. Einige archivieren ihre Kommentare gar auf einem eigenen Blog. Der beleidigende Kommentator dominiert jedes Forum gnadenlos. Widerspruch lässt er nicht zu, deshalb ist er auch für andere, moderater gestimmte Leser, die nicht seiner Meinung sind, so unerträglich.

          Andere Kommentatoren steigern sich in eine politisch eher richtungslose Medienkritik. Die Systempresse sei zensiert, dürfe ohnehin nie die Wahrheit schreiben und werde abwechselnd von einer Energielobby, Umweltlobby, Schwulenlobby, Pharmalobby, von Apple oder Samsung (je nach Ergebnis des Gerätetests), von den Regierungen verschiedener Länder oder gleich einem Geheimdienst der Wahl finanziert und gelenkt. Wenn diese Kommentatoren auch nur ansatzweise recht hätten und solche Organisationen uns tatsächlich regelmäßig Geldkoffer vorbeibrächten - es gäbe keine Zeitungskrise mehr.

          Eine handfeste Vertrauenskrise gegen „die Journaille“

          „WENN DIE MEINUNG DER LESER STÄRKER UND DIE LÜGEN DER REDAKTEURE DREISTER WERDEN GEHT JEDE ZEITUNG KAPUTT!!!“, schreibt uns ein Leser und regt an, wir sollten uns diesen Satz ausdrucken und an die Tür heften. Man könnte solche Vorwürfe jetzt einfach abtun. Aber so leicht ist es nicht. Unterschwellig manifestiert sich da nämlich eine handfeste Vertrauenskrise. Es ist mittlerweile salonfähig, auf „die Journaille“, auf „die Schreiberlinge“ zu schimpfen, die verlogen, hirnlos und ahnungslos hinschrieben, was ihnen Geldgeber, Meinungsmacher oder Lobbyisten vorkauten. Das kommt vor, keine Frage, es gibt nicht nur gute Journalisten, es gibt leider auch sehr schlechte, und das ist fürchterlich für den ganzen Berufsstand. Aber das ist nicht die Regel, zum Glück. In der Redaktion höre und lese ich immer noch eine Vielzahl von Meinungen, man diskutiert, schreibt gegeneinander an, lässt auch kontroverse Gastbeiträge zu. Aus meiner Innensicht betrachtet, ist die Behauptung vom massenhaft verbreiteten korrupten Lohnschreiber schlichtweg nicht haltbar. Es bleibt uns wohl nur übrig, langfristig gute Arbeit abzuliefern, um einem Vertrauensverlust entgegenzuarbeiten.

          Wie aber geht man mit dem Hass um, wenn er persönlich wird? Eine Gruppe deutscher Journalisten mit Migrationshintergrund, darunter Özlem Gezer vom „Spiegel“ und Deniz Yücel von der „taz“, hat darauf eine eigene Antwort gefunden. Sie touren regelmäßig mit dem Programm „Hate Poetry“ durch Deutschland und lesen öffentlich die schlimmsten Beschimpfungen vor, die die Leser ihnen per Post, E-Mail, Kommentarfunktion oder Twitter angedeihen ließen. Nach anderthalb Stunden weiß man nicht, ob man lachen oder weinen soll, und ist froh, einen angenehm unauffälligen, deutschen Namen zu haben, der einem zumindest diese Angriffsfläche erspart. Es mache einen Unterschied, sagte Yassin Musharbash von der „Zeit“ zum Abschluss der Frankfurter Hate-Poetry-Lesung, ob man diese Briefe mit nach Hause nehme und mit ihnen allein bleibe oder ob man sie teilen und gemeinsam darüber lachen könne.

          Ähnliche therapeutische Strategien verfolgen wir bei FAZ.NET inzwischen auch. Ein Kollege sammelt die widerwärtigsten Hassschriften, wir freuen uns über den gröbsten Unflat, wir lesen ihn laut vor und lachen gemeinsam darüber. Es geht nicht anders.

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