Kreml-Propaganda im Netz : Gegen Geld sagen sie bei TikTok Propagandatexte von Putin auf
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Alle mit demselben Text: Influencer verbreiten Propaganda Bild: magonovaa_/TikTok
Auf dem Netzwerk verbreiten Influencer exakt die Stichworte des Kreml-Herrschers und rechtfertigen den Krieg. Das wirkt plump, ist aber vielleicht erfolgreich.
In den sozialen Netzwerken tobt der Informationskrieg zur russischen Invasion in die Ukraine. Wie das Magazin „Vice“ darlegt, hat die russische Regierung offenbar verschiedenen russischen Influencern auf der Plattform TikTok genaue Anweisungen für Propaganda-Beiträge gegeben – gegen Bezahlung.
Normalerweise sind Influencer, die in den sozialen Medien über eine große Anhängerschaft verfügen, vor allem bei Firmen gefragt, um Werbung für Produkte zu machen. Jetzt sind sie als Propagandisten im Ukraine-Krieg interessant. Wie „Vice“ berichtet, wurden zu Beginn der Invasion verschiedene pro-russische Kampagnen über einen geheimen Kanal auf dem Kurznachrichtendienst Telegram koordiniert. Influencer, vielfach Leute mit mehr als einer Million Followern, bekamen detaillierte Anweisungen für die bezahlten Beiträge: Welche Aussagen zu machen und welche Hashtags zu benutzen, wo Videos aufzunehmen und wann diese zu posten sind. Die willigen Verbreiter der Kreml-Propaganda sollten einen Preis für ihre Teilnahme an der Kampagne nennen. Einem anonymen TikToker zufolge sollen zwischen 2000 und 20 000 Rubel geflossen sein, umgerechnet rund vierzehn bis hundertvierzig Euro.
Einer Fotografin fällt etwas auf
Die russische Fotografin Christina Magonova ist auf eine dieser Kampagnen aufmerksam geworden. Sie postet im Split-Screen Videos von einem Dutzend Influencern, die mit ein und demselben Wortlaut Putins Fake News über einen angeblichen „Genozid“, den die Ukrainer an der Bevölkerung im Donbass verübten, verbreiten. Mit dieser Lüge hat und der Rede von einer „Entnazifizierung“ rechtfertigt Putin bekanntlich die Invasion. Magonova klammert ihren Post mit der Frage ein: „Was ist der Unterschied zwischen Russen und Ukrainern in sozialen Netzwerken? Ukrainer müssen für Patriotismus nicht bezahlt werden.“ Auch andere TikToker äußern sich kritisch über die Influencer, die sich „für einen Laib Brot verkaufen“; Beobachter fanden es dilettantisch, die TikToker identische Texte aufsagen zu lassen.
Umfang und Erfolg der russischen Propagandakampagne auf Tiktok vermag „Vice“ nicht zu bestimmen – nicht zuletzt, weil TikTok keine genauen Einblicke in die Vorgänge auf der Plattform zulässt. Der Verband Media Matters for America identifizierte indes 186 russische Influencer-Konten, die Teil der Propaganda-Kampagne waren.
Der Administrator des inzwischen gelöschten Telegram-Kanals, der sich „Vice“ gegenüber als Journalist ausgab, soll dem Bericht zufolge außerdem eine schrittweise Anleitung zur Umgehung von TikToks Sperre für neue Uploads russischer Konten veröffentlicht haben.
Keine neuen Uploads mehr bei TikTok
Die Videoplattform des chinesischen ByteDance-Konzerns hatte diese Sperre am 6. März erlassen. Am Tag zuvor hatte Putin sein „Fake News“-Gesetz unterzeichnet, demzufolge Angaben über die russischen Truppen, die der Kreml als „gefälscht“ einstuft, mit Gefängnisstrafen von bis zu fünfzehn Jahren geahndet werden können. Die Plattform, die mit dieser Sperre auf einem Markt mit fast 55 Millionen Nutzern offenbar Risikominimierung betreibt, hatte sich schon zuvor überfordert gezeigt, mit Bildern und Beiträgen zum Krieg in der Ukraine umzugehen.
TikTok ist in den vergangenen fünf Jahren zu großem Erfolg gelangt. Hier lassen sich mühelos ein- bis dreiminütige Videos hochladen und mit Soundtracks und Kommentaren unterlegen. Politische Inhalte waren eher randständig, aber inzwischen hat der Hashtag #Ukrainewar mehr als achthundert Millionen Aufrufe. Statt Tanzvideos und anderen unterhaltsamen Minifilmchen sind jetzt Bilder vom Krieg gefragt.
Viele dieser Videos, bemerkt das Magazin „New Yorker“, sind ganz in TikTok-Ästhetik gefasst – kontextlose, verwackelte Bilder aus den umkämpften Gebieten, unterlegt mit Popmusik-Ohrwürmern; junge Menschen, die ihren Schutzbunker im Stil eines beliebten TikTok-Formats zur Ausstellung der eigenen Wohnung dokumentieren. Man habe TikTok bisher nicht als Nachrichten-App wahrgenommen, sagt die Informationsforscherin Joan Donovan von der Universität Harvard im „Wall Street Journal“, aber viele Leute nutzten sie, um informiert zu bleiben.
Die Kriegsbilder sind hier freilich sowohl Dokumentation als auch Popularitätswettbewerb. „Der Krieg ist Content“, hält der „New Yorker“ mit Blick auf den Hingucker-Wert der Videos fest, der von den Algorithmen der sozialen Netzwerke belohnt wird. Angesichts der Flut der Bilder ist eine Authentifizierung und Kontextualisierung nahezu unmöglich – und für die Nutzer ist sie womöglich kein entscheidendes Kriterium. Dass die dreizehn ukrainischen Soldaten auf einer Insel im Schwarzmeer, die zu Beginn des russischen Überfalls den Kapitulationsforderungen eines russischen Kriegsschiffs mit derben Worten trotzten, nicht umgekommen waren, wie auf TikTok berichtet, sondern ukrainischen Angaben zufolge in Gefangenschaft gerieten, registrierten viele Nutzer der Plattform wohl ebenso wenig wie die Tatsache, dass ein vermeintlich russische Flieger abschießender Kampfpilot aus einem Videospiel stammt. Manche Bilder sind mit falschen Tonspuren unterlegt – etwa von der Explosion im Hafen von Beirut. An der Unmittelbarkeit des Eindrucks ändert dies nichts. „Wiewohl die sozialen Medien ein unvollkommener Kriegschronist sind, könnten sie hin und wieder die verlässlichste Quelle sein, die wir haben“, meint der „New Yorker“.
Diese Arena will die amerikanische Regierung nicht dem Kreml überlassen. Präsident Joe Biden lud Ende vergangener Woche rund dreißig amerikanische TikTok-Influencer zu einem fünfundvierzigminütigen Zoom-Briefing durch seine Pressesekretärin Jen Psaki und seinen Sicherheitsberater Matt Miller ein – eine Art private Pressekonferenz für die Info-Multiplikatoren der „Generation Z“. Deren Reichweite bei jungen Leuten macht sie im Informationskrieg zu einem politischen Faktor. Das hat der Kreml erkannt, allerdings wirken die gekauften Influencer, wie man in der Übersicht von Christina Magonova sehen kann, auch genau wie die Sprechpuppen, die sie sind.