„The Voice of Peace“ im Ersten : Der Pirat, der unter der Friedensflagge segelte
- -Aktualisiert am
Er war seiner Zeit voraus - oder alle anderen waren hintendran: Abie Nathan funkte zwanzig Jahre lang vom Mittelmeer aus sein Friedenszeichen (Szenenbild aus „The Voice of Peace“). Bild: Owen/Stevens/NDR
Der Dokumentarfilmer Eric Friedler erinnert an Abie Nathan, den Mann, der sich im Alleingang zwischen die Fronten des Nahost-Konflikts wagte: „The Voice of Peace“ im Ersten.
Irgendwo im Mittelmeer fährt ein Schiff. Von „irgendwo im Mittelmeer“ her funkt ein Sender seine Botschaft. Schiff und Sender und Botschaft sind eins. Die Botschaft ist simpel, sie klingt naiv, dabei hält sie der Politik vor Augen, wovor sie im Nahen Osten versagt: Gebt dem Frieden eine Chance. „The Voice of Peace“, so heißt das Schiff, so heißt der Traum des Abie Nathan, eines Mannes, den die Welt heute vergessen hat. Zu Unrecht.
„Give Peace a Chance“ sangen Yoko Ono und John Lennon. „Everybody’s talking about“ - heißt es da, und dann taucht der Name Abie Nathan auf. Abie wer?, fragte sich der Dokumentarfilmer Eric Friedler und begann nach einem Mann zu recherchieren, der jahrzehntelang für den Frieden im Nahen Osten kämpfte, der die israelische Regierung vor sich hertrieb, sich mit Jassir Arafat traf, Hungernden in Biafra half, in Äthiopien Lager für 200 000 Flüchtlinge baute; der in Tel Aviv das legendäre „Cafe California“ führte, ein ehemaliger Kampfpilot, der mit seinem Privatflugzeug „Shalom 1“ nach Ägypten düste, wie ein Dandy und als Don Juan auftrat, moderne Kunst sammelte, aber nur, um damit seine humanitären Aktionen zu finanzieren, und der von 1973 bis 1993 ebenjenen Piratensender „The Voice of Peace“ betrieb, „von irgendwo auf dem Mittelmeer“.
Mit Abie Nathan selbst konnte Eric Friedler nicht mehr sprechen, 2008 ist der Aktivist gestorben, am Ende habe er, erinnert sich eine Mitstreiterin, fast nichts mehr gehabt und sei ihr als der ärmste Mensch der Welt vorgekommen. So machte sich Friedler auf, das Wesen dieses Mannes in den Zeugnissen derer zu ergründen, die ihn kannten. Und deren Augen beginnen zu leuchten. Wenn sie von ihm reden, hat man den Eindruck, sie sprächen nicht von einer fernen Vergangenheit, sondern von gestern.
Auf den ersten Blick mag er einfältig wirken
Und wer da alles spricht: der israelische Präsident Schimon Peres, der Dirigent Daniel Barenboim, Zubin Mehta, Yoko Ono, Ruth Dayan, die Witwe des israelischen Verteidigungsministers, der Filmemacher Georg Stefan Troller, Ahmad Tibi, ehemals Berater von Jassir Arafat, der Historiker Moshe Zimmermann, der Oberrabbiner von Tel Aviv, Israel Meir Lau, der Playboy Rolf Eden, der Schriftsteller Gideon Levy, der Journalist und Friedensaktivist Uri Avnery, der Schauspieler Michael Caine - sie alle erinnern an einen Mann, der umstritten war, wegen der Siedlungspolitik Israels in Hungerstreik trat, in Haft kam, weil er Arafat getroffen hatte, dem sie aber nichts als Bewunderung entgegenbringen. Dem einen oder anderen erscheint er im Nachhinein gar als magische Erscheinung.
Nur auf den ersten Blick mag einem dieser Abie Nathan einfältig vorkommen, wenn der Film mit dem Soundtrack der Popsongs aus den sechziger und siebziger Jahre einsetzt, die von der Sehnsucht nach Frieden handeln. Und wir junge Leute mit langen Haaren auf einem alten Kahn sehen, der im Mittelmeer schippert.
Schöne Musik und Worte mit Weisheit
Doch dass dieser Abie Nathan kein Träumer war, geht einem schnell auf. „Er beschämte Israel. Er stellte Fragen, die bis heute unbeantwortet sind“, sagt der Schriftsteller Gideon Levy. Eine „Stimme der Vernunft“ nennt ihn der ehemalige DJ Don Stevens. „Er gab ein persönliches Beispiel und ging voran, allein“, erinnert sich Uri Avnery. „Vernünftig und sehr, sehr weise“ nennt ihn Yoko Ono. Ein Poet, der seine Träume in Realität umgesetzt hat, meint Georg Stefan Troller. „Im Nachhinein“, sagt Daniel Barenboim, „fragt man sich: Wieso hat nur er daran gedacht?“ Daran, dass die Menschen im Nahen Osten aufeinander zugehen, miteinander reden, sich als Nachbarn akzeptieren und dem Gegenüber dieselben Rechte zugestehen müssen wie sich selbst.
Am eindringlichsten erinnert sich der Friedensnobelpreisträger Schimon Peres, der Abie Nathan einen Freund nennt - einen Freund allerdings, den er stets schätzte, für das, was er war, dem er als Politiker aber nicht immer folgen wollte. „The Voice of Peace“, das sei, sagt Peres, „schöne Musik“ gewesen „und Worte mit Weisheit und ein bisschen illegal“. Es handelte sich schließlich um einen Piratensender, der direkt vor Israels Küste kreuzte. „Er war im Recht, und wir waren im Unrecht“, sagt Peres. Wann hat man so etwas von einem Politiker schon einmal gehört? „Er war seiner Zeit nicht voraus - wir waren unserer Zeit einfach hinterher.“ Abie Nathan war und ist den Politikern im Nahen Osten in der Tat voraus. Er kam, weil er sich mit Arafat getroffen hatte, in Haft, ein paar Jahre später, 1994, erhielt Peres gemeinsam mit Jitzak Rabin und Jassir Arafat den Friedensnobelpreis für seine Verdienste im Oslo-Friedensprozess.
Warum nahm es ein solches Ende?
All diese Stimmen verbindet der preisgekrönte Filmemacher Eric Friedler, dem wir epochale Stücke wie „Aghet“ über den Völkermord an den Armeniern oder die Dokumentation „Das Schweigen der Quandts“ zu verdanken haben, zu einem meisterhaften Anderthalbstunden-Konzert. Die von ihm beigebrachten Archivaufnahmen verdichten sich zu einer dramatischen Erzählung, an deren Ende man sich nur eines noch fragt: Warum ist dieser Abie Nathan - der Weise, ein „Gandhi des Mittleren Ostens“, wie ihn Friedler nennt - so vergessen?
Und warum nahm es ein solches Ende mit „The Voice of Peace“? Wir sehen Abie Nathan im Jahr 1993 in seinem kleinen Studio auf hoher See sitzen. „Nun spielen wir das letzte Lied“, sagt er: „We shall overcome. Danke und Shalom.“ Dann wird sein Schiff versenkt. „Das Schiff müsste noch immer da sein, irgendwo im Mittelmeer“, sagt Zubin Mehta. Auf Abie Nathans Grabstein steht: „Ich habe es versucht.“