„Tatort“ aus Berlin : Ein Mann im Schockzustand
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Mark Waschle als Karow Bild: rbb/Stefan Erhard
Im Berliner „Tatort“ ermittelt Mark Waschke als Kommissar Karow in einem Fall, der ihn zutiefst erschüttert. „Das Opfer“ ist der Übergang vom Alten zum Neuen.
Ein Sprichwort besagt: So wie du in den Fernseher hineinschaust, so schaut er heraus. Das Gesicht von Kriminalkommissar Robert Karow (Mark Waschke), das uns zu Beginn seines 16. Falles mit leeren Augen entgegenstarrt, kann insofern nicht überraschen. Es passt, obwohl es mit dem Geschehen in Osteuropa nichts zu tun hat, in seinem Schockzustand zu einem entsetzlichen Jahr.
Und es wird noch sehr viel erschöpfter aussehen: „Das Opfer“, geschrieben von Erol Yesilkaya, der einen exzellenten „Tatort“ nach dem anderen baut und sich 2018 den preisgekrönten Berliner Fall „Meta“ ausdachte (aktuell sitzt er an der Verfilmung von Wolfgang Hohlbeins „Der Greif“), verlängert nämlich die Niedergeschlagenheit, die Karow nach dem Tod seiner Kollegin Nina Rubin (Meret Becker) erfasst hat, durch einen zweiten Schicksalsschlag: Ein Jugendfreund Karows liegt wie hingerichtet im Wald, und um ihn trauert der Kommissar, wie er noch nie um einen Menschen getrauert hat. Er muss bis zur letzten Szene schluchzen und stöhnen und keuchen, wobei seine geröteten Augen zwischendrin mit Pfefferspray und seine Finger mit einer Kneifzange malträtiert werden.
Hier sind alle nah am Wasser gebaut
Auch Menschen, denen Karow im Zuge der Ermittlung begegnet, sind nah am Wasser gebaut. Der bullige Clan-Chef Mesut Günes (Sahin Eryilmaz), der als Hauptverdächtiger gilt und von SEK-Beamten aus seiner Wohnung geholt wird, ringt beim Knastgespräch mit Karow um Fassung, die Prostituierte Camilla (Kim Riedle), die für Günes arbeitet und ihr Leben gerne gegen ein anderes eintauschen würde, ist die Depression in Person. Selten war ein „Tatort“ so melancholisch.

Trailer : „Tatort – Das Opfer“
Das Opfer im „Tatort: Das Opfer“, ein Mann namens Mike, der in Rückblenden in die Zeit vor dem Verbrechen von Andreas Pietschmann gespielt wird, war als Undercover-Ermittler bei Günes eingeschleust. Dass er für Karow weit mehr war als irgendein Nachbarsjunge, ist sofort klar, weil sich die beiden vom Typ her schwer ähneln, aber da heute immer alles erklärt werden muss, meint in diesem „Tatort“ auch noch der Besitzer eines Dönerladens (Burak Yigit) große Ähnlichkeiten zu sehen: „Ihr hättet Brüder sein können. Ich mein so: der Style, die Klamotten, der Bart.“ Was als Krimi begann, wird zur Seelenrundfahrt.
Eine ganz andere Frage als die nach der sexuellen Identität, die den Film trägt, ist die nach der künftigen Identität des Berliner „Tatorts“. Der bisexuelle Karow und Rubin, die erste jüdische Kommissarin, gehörten zu den griffigeren Teams in Deutschland, als sich Meret Becker zum Ausstieg entschied und im Sommer mit einem cineastischen Finale verabschiedet wurde. Als Nachfolgerin meint man in „Opfer“ nun Jasmin Tabatabai zu sehen, die als Staatsanwältin Taghavi auftritt und den sperrigen, etwas „seltsamen Menschen“ Karow allmählich schätzen lernt. Aber Tabatabai spielt die eine Kriminalkommissarin in der ZDF-Reihe „Letzte Spur Berlin“, sie wird allenfalls eine Option für Fälle der Zukunft sein – während Corinna Harfouch als Dozentin einer Polizeiakademie ihren Einstand an der Seite von Karow feiert.
„Das Opfer“ ist also der Übergang vom Alten zum Neuen. Atmosphärisch ist diese Folge wie gewohnt dicht, Kameramann Markus Nestroy spielt mit Spiegelungen, Unschärfen und Farben, er lässt uns die Handlung wie benommen wahrnehmen. Den Rest besorgt Karow, der Ermittler im Schockzustand: „Mir geht’s gut. Die Tabletten wirken gleich.“
Tatort: Das Opfer, Sonntag, 20.15 Uhr, ARD