„Tatort“ aus Berlin : Maschinen beherrschen die Stadt
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Kommissarin Nina Rubin (Meret Becker) muss eine traurige Nachricht überbringen. Bild: rbb/Conny Klein
Die ARD wiederholt heute den Berliner „Tatort: Tiere der Großstadt“. Der Film handelt von seltsamen Morden, bei denen ein Roboter und die Tierwelt eine Rolle spielen. Unsere Rezensentin sagt, ob sich die Wiederholung lohnt.
Nun hat auch Robert Karow (Mark Waschke), dem man im Berliner „Tatort“ bisher keine Fühllosigkeit, aber eine gewisse Mitmenschendistanz ansah, seine Intimbeziehung. Sozusagen. Er pflegt sie zu einer technologischen Errungenschaft im funktionalen Smarthome, zu seiner „Alexa“, die ihn, sobald er, wütend, traurig oder frustriert den Fuß über die Schwelle setzt, schmeichelnd in einen Entspannungsmodus zu versetzen sucht.
Kümmern als algorithmisch organisierte Dienstleistung, das passt für Karow, da kommt kein Mensch mit oder nahe. In Japan gibt es inzwischen individualisierte Sexroboter. Die Gefahr eines Verbrechens aus Leidenschaft ist ohne entsprechendes Selbstlernprogramm der Maschine ausgeschlossen. Das könnte man bei „Tiere der Großstadt“, dem achten Fall der Berliner Kommissare, für gar nicht mal so übel halten.
Nina Rubin (Meret Becker) zieht bei Spätabendblues los in Clubs, zum Tanzen, Trinken, Männer aufreißen. Der Hangover ist garantiert. Währenddessen erobert sich das Ungezähmte die Stadt. Nachts laufen Wildschweinrotten vor der Gedächtniskirche über die Fahrspur. Krähen beobachten alles, sagen aber nichts. In den Außenbezirken tummeln sich Füchse. Auf der anderen Seite erobern Roboter den Lebensraum. Das wird spätestens dann deutlich, wenn Karow und Rubin entscheidende Hinweise zur Lösung der zwei hier aufzuklärenden Todesfälle in einem „Monsterkabinett“ für Touristen finden, in dem sie ein Roboter mit Kulleraugen empfängt.
Diesem „Tatort“ nach dem Drehbuch von Beate Langmaack sieht man an, dass er ein Exempel und eine Parabel auf die modernen Zeitläufte sein möchte. Interdependenzen von schöpferischer und geschaffener Natur sind seine Themen, Künstliche Intelligenz, die (bisweilen tödlichen) Defizite der Spezies Mensch im Vergleich zu Robotern und das Animalische.
Der Film verhandelt zwei Morde. Beide sind seltsam und anscheinend unverbunden, haben aber schließlich das Wesentliche gemeinsam. Es geht um einen Roboter-Barista, der nonstop Kaffee-Convenience liefert. Der Wartungsassistent findet den Tod. Und es geht um eine fanatische Joggerin, die im Grunewald nach einem Angriff im Dunkeln verblutet. Einmal Stadtmitte, einmal Peripherie. Beide Ehepartner der Toten, ermitteln Rubin und Karow, sahen ihre Beziehungen idealer, als sie wohl waren.

Trailer : „Tatort – Tiere der Großstadt“
Eine der Ehen scheint hochmerkwürdig, die andere voller Leid: Kathrin Menke (Valery Tscheplanova), die Witwe des Kaffeehaus-Eigentümers Tom Menke (Martin Baden), lebt in ihrer Innenstadtwohnung auf Streu wie in einem Stall und züchtet seltene Katzen zum reinen Vergnügen. Reno Gröning (Kai Scheve), dessen Frau Carolina (Tatiana Nekrasov) ihr Laufprogramm nicht überlebte, arrangiert Strampler und Babyschuhe zum Schrein.
Die Drehbuchautorin Beate Langmaack gruppiert zu diesen Paaren weitere Spiegelfiguren: Einen entrückten Nachbarn mit Erinnerungssprüngen, der in der Tatnacht freien Blick auf den Kaffeeautomaten-Glaskasten hatte, das Gesehene aber nicht einordnen und klar wiedergeben kann. Die Kamera von Max Knauer taucht die Wohnung des alten Albert (Horst Westphal) in ein Zwielicht wie aus dem Zwischenreich. Im Wald sitzt die Naturbloggerin Charlie (Stefanie Stappenbeck), ruft die heilige Mutter Natur an und schickt Videobotschaften der ersten Schneeglöckchen an ihre Abonnenten. Dazwischen tummeln sichjugendliche Tatzeugen, empathielose Halbwesen, die mit dem toten Gerätewart zur Belustigung ihrer Freunde bis zur Ankunft der Polizei Selfies machen.
Langmaacks Buch arbeitet sich nicht nur in der geometrischen Personal-Aufstellung zu offenkundig am Thema „Zukunft 4.0“ ab. Ihre Technologieskepsis führt zwar auch eine einzige Figur ein, einen Erfinder und Programmierer, der den Nutzen der Robotik wortreich beschreibt (Prothesen, gefährliche und langweilige Tätigkeiten), lässt ihn aber kaum Konturen gewinnen. Der Informatiker und Ingenieur ist nur ein Stichwortgeber.
Der Regisseur Roland Suso Richter macht indes das Beste aus der aufgesetzten Vorlage. Er findet filmisch sinnliche Bilder und Einstellungen, die der Theorie mit Anschauung vom Kopf auf die Füße helfen. Als sog- und rätselhafte Assoziationsfolge nächtlicher Großstadtbilder und ihrer beschleunigten Mobilität überzeugt schon der Auftakt (Schnitt Patrick Wilfert). Die atmosphärische Tonunterspülung liefert die elektronische Musik von Nils Frahm. Das ist keine „Sinfonie der Großstadt“ wie bei Walter Ruttmann, sondern, das Thema Technikskepsis kontrapunktisch erweiternd, ein maschinenerzeugter „Sound der Großstadt“. Die Inszenierung macht aus einem eindeutigen Buch gekonnt eine mehrdeutige Zukunftsangelegenheit.