„Tatort“-Kritik : Manege frei für die große Luftnummer
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Einsamer Star in einer trostlosen Manege: Ulrike Folkerts ermittelt sich durchs Mittelmaß Bild: SWR/Alexander Kluge
Die Artisten unter der Zirkuskuppel, ratlos: Im „Tatort. Zirkuskind“ wirkt Kommissarin Lena Odenthal so unterfordert wie noch nie. Tödlich ist hier vor allem die Langeweile.
Eigentlich müsste Ulrike Folkerts als Lena Odenthal irgendwann die Nerven verlieren, ihre Dienstwaffe ziehen und wild um sich ballern. Wahllos in die Menge. Bis das Magazin leer ist. Und danach erst mal ein Bier bestellen. Nicht etwa, weil der jüngste Fall der dienstältesten „Tatort“-Kommissarin alles von ihr forderte - wann wäre das jemals so gewesen? Sondern weil sie jedes Recht hätte, ordentlich auszurasten und den Schöpfern ihrer Figur an den Kopf zu donnern: Seit mehr als zwanzig Jahren jage ich für euch in diesem verdammt öden Ludwigshafen Verbrechern hinterher! Besorgt mir endlich mal ein richtig gutes Drehbuch! Und speist mich nicht mit einer Zirkusnummer ab wie den Tukur!
Dass der Südwestrundfunk aber genau das in „Zirkuskind“ (Buch: Harald Göckeritz) tut, könnte man bestenfalls als besonders raffinierten Versuch des Senders deuten, einen gesellschaftspolitisch relevanten Beitrag zum Thema „Bore-out“ ins Unterhaltungsprogramm zu schleusen. Quasi unter der Hand, zum Miterleben. Doch noch mehr solcher Kriminalfälle, und Lena Odenthal landet wegen chronischer Unterforderung am Arbeitsplatz auf der Couch. Was ja durchaus im Trend läge, hat doch gerade erst das ZDF seiner toughen Kommissarin Jana Winter, die Nathalie Wörner seit über sieben Jahren „Unter anderen Umständen“ verkörpert, einen Burn-out angedichtet. Was immerhin das passendere Syndrom für einen Krimi ist.
So gnädig geht das Erste mit seiner Lena Odenthal nicht um. Nach vielen ziemlich durchschnittlichen, aber durchaus soliden Folgen schickt es die Frau mit dem klaren Verstand und (fast) ohne Privatleben in den Zirkus. Dort tritt sie immerhin nicht wie jüngst Ulrich Tukur als „Tatort“-Ermittler Felix Murot mit eigener Band auf, sondern folgt mit verzauberten Blicken der jungen Artistin Felicitas (Liv Lisa Fries), wie sie durch die Kuppel der Provinztruppe schwebt. Das will zwar nicht so recht zur nüchternen Lena Odenthal passen, ist aber immerhin einer von zwei winzigen magischen Momenten des Films (Regie: Till Endemann). Auf den zweiten folgt ein Auftritt der notorischen Sekretärin Frau Keller (Annalena Schmidt), der sich anfühlt, als bekäme man einen nassen Waschlappen ins Gesicht geklatscht.
Am Tag nach der Vorstellung jedenfalls liegt der Feuerspucker tot in der Manege, Blut sickert in die Sägespäne, und Lena Odenthal guckt zum Glück nicht mehr verzaubert. Ihr Sidekick Kopper (Andreas Hoppe) legt den Kopf schief, der Mann von der Spusi (Peter Espeloer) nörgelt auf Pfälzisch rum - so abturnend wie in Ludwigshafen ist Lokalkolorit wirklich in keinem „Tatort“ inszeniert -, dann geht’s an die Ermittlungsarbeit.
Die Betonung liegt auf Arbeit. Da ist noch ein Höhepunkt, dass die Kommissarin in einem Bambuswald einen über den Schädel gezogen bekommt. Es treten auf: ein Feuerteufel, der doch tatsächlich Herr Rauch heißt (tapfer: Fritz Roth), der Bruder des Ermordeten (Hanno Koffler), ein Deutsch-Tunesier (Carlo Ljubek), besagte Felicitas und ihre Mutter Louisiana, die Zirkus-Patriarchin. Steffi Kühnert schafft es, wenigstens dieser Figur fast so etwas wie einen Charakter zu verleihen. Was eine Kunst ist in einem Film, der aus Naheliegendem, Platituden („Trostlos hier, oder?“) und Melodramatik zusammengeschustert ist - und über weite Strecken tödliche Langeweile erzeugt. Dabei geht es um Drogen und Kunstschmuggel. Und den Untergang einer in die Jahre gekommenen Unterhaltungsform. Ein sterbender Zirkus, das ist wirklich kein Ort für Lena Odenthal.