„Tagesschau“ und Freiburg-Mord : Jetzt berichten sie doch
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Er weiß, was „relevant“ ist und was nicht: Kai Gniffke, der Chefredakteur von „ARD aktuell“. Bild: NDR/Thorsten Jander (M)
Die ARD-„Tagesschau“ hat zum Sexualmord in Freiburg nichts gebracht. Die Redaktion sagt, sie habe dafür gute Gründe. Doch dann macht der Chefredakteur im Facebook-Chat eine Rolle rückwärts.
Stellen Sie sich vor, sie schalten abends die „Tagesschau“ ein und erwarten den Überblick der wichtigsten Themen das Tages und eines, das die Schlagzeilen beherrscht, kommt nicht vor. Am Samstag kam in der „Tagesschau“ der ARD nicht vor, dass die Polizei im Mordfall der neunzehnjährigen Medizinstudentin Maria L. aus Freiburg einen Tatverdächtigen gefasst hatte. Es handelt sich um einen siebzehn Jahre alten Flüchtling aus Afghanistan, auf den als Täter eine Kette von DNA-Spuren verweist. Das gaben Staatsanwaltschaft und Polizei am Samstagnachmittag bekannt.
Dass dies breite Aufmerksamkeit erfuhr, hat mit den Umständen der Tat zu tun – die Studentin wurde vergewaltigt und ertrank in der Dreisam –, damit, dass kurz danach* eine zweite junge Frau in der Nähe von Freiburg vergewaltigt und ermordet wurde, die Stadt ein wachsendes Sicherheitsproblem hat, das – auch – im Kontext mit dem Zuzug junger, männlicher Flüchtlinge steht. Die Bürger sind beunruhigt, es macht sich nicht nur ein Gefühl der Verunsicherung breit, die Sicherheit im öffentlichen Raum ist eingeschränkt. Die Polizeipräsenz in der Stadt wird um 25 Beamte aufgestockt. Kurzum: Freiburg hat ein Thema und das ganze Land schaut darauf. Die „Tagesschau“ hatte das Thema nicht.
Berichte nur über „relevante“ Ereignisse
Wie Kai Gniffke, der Chefredakteur der für die „Tagesschau“ zuständigen Redaktion „ARD aktuell“ meint, hatte sie es mit guten Gründen nicht. „Wir berichten nur selten über einzelne Kriminalfälle“, schreibt Gniffke im Blog auf „tagesschau.de“ in einem Beitrag, den er am Sonntagabend um 22.46 Uhr online stellte – das Wochenende über hatte sich die Kritik an der Nicht-Berichterstattung der „Tagesschau“ gemehrt.
Es gebe „im Medienmarkt Redaktionen, die sich auf die Berichterstattung über Kriminalfälle spezialisiert haben und dies in der Regel auch sehr angemessen tun. Die ,Tagesschau’ berichtet über gesellschaftlich, national und international relevante Ereignisse. Da zählt ein Mordfall nicht dazu.“ Das heiße nicht, dass die „Tagesschau“ niemals über Verbrechen berichte. „Aber wir können und wir wollen nicht über jeden der circa 300 Mordfälle pro Jahr berichten (wobei interessant ist, dass diese Zahl in den vergangenen 15 Jahren dramatisch abgenommen hat).“
Der Mordfall von Freiburg hebe sich nach dem Verständnis der „Tagesschau“-Redaktion nicht von anderen ab, schreibt Gniffke. Deshalb habe man die Tat nicht gemeldet und auch nicht die Verhaftung des Tatverdächtigen. Die Herkunft des Täters habe damit nichts zu tun. Dass man kein Problem damit habe, „gegebenenfalls auch die Herkunft von Tatverdächtigen zu nennen“, habe man bei der Berichterstattung über die Kölner Silvesternacht sehen können, „bei der wir von Anfang an die Herkunft der mutmaßlichen Täter genannt haben“. Man hätte im Mordfall aus Freiburg, konzediert Gniffke, auch anders entscheiden und mit dessen „Gesprächswert“ argumentieren können. Doch gewichte man diesen „etwas geringer gegenüber dem Kriterium der Relevanz“.
Dann lagen alle anderen wohl falsch. Denn alle anderen, inklusive der „heute“-Nachrichten im ZDF, hielten das Thema für relevant genug, um darüber zu berichten. Dass es hier um ein Verbrechen geht, welches das zentrale innenpolitische Thema – die Flüchtlingskrise –, berührt, zeigt sich an der Anteilnahme im ganzen Land und am Ende an den Reaktionen aus der Politik. Klickt man sich etwa im Internet auf „tagesschau.de“ durch die „regionalen Nachrichten“ hindurch, findet man auch dort Beiträge zum Sexualmord von Freiburg. Sie stammen vom Südwestrundfunk, vornedran findet sich ein Interview der „Landesschau“ mit dem Freiburger Oberbürgermeister Dieter Salomon von den Grünen, der davor warnt, von diesem Einzelfall auf alle Flüchtlinge zu schließen. In ähnlichem Sinn äußern sich tags darauf die CDU-Politikerin Julia Klöckner und der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel, der obendrein vor „Hetze“ von Rechts und vor „Verschwörungspropaganda“ warnt.