„WandaVision“ bei Disney+ : Endlich bekommen sie wieder Farbe
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Farbkorrektur: Wanda (Elizabeth Olsen) und Vision (Paul Bettany) haben ein Fernsehserienleben wie es im Drehbuch steht, doch irgendetwas stimmt nicht. Bild: Disney+
Die Marvel-Serie „WandaVision“ haucht dem Superheldengenre neues Leben ein. Sie befreit ihre Figuren endlich aus ihren zu engen Anzügen und lässt sie atmen.
Vielleicht lernen Superhelden jetzt wieder fliegen. All die Wunderfrauen und Supermänner – sie hatten doch einigen Schaden genommen, während Unternehmen und Rechteinhaber, die ihr Leben verwalteten, sie aus ihren auf Papier gebannten Bildkacheln herauskopierten, um ihre Existenz zu vervielfachen und in neue Medien zu überführen – um ihnen die Aufmerksamkeit zu sichern, die Helden und Götter dieser Tage überhaupt erst zu solchen macht.
Genau diese hatte in den vergangenen Jahren bei allen Beteiligten gelitten. Fans quengelten, Kino-Enthusiasten waren bedient, und Produzenten, Regisseure und Autoren hatten Mühe, das Knäuel der Schicksalsfäden zu entwirren, die ihre verschiedenen Universen miteinander verbanden oder parallel nebeneinander herliefen.
Abseits der Kinoleinwand tat sich etwas. Superhelden gingen in Serie. Oft ging das schief. Es wurde häufig das Gleiche erzählt, nur mit weniger Effekten. Doch vereinzelt wagten die Produktionen etwas. Gipfel dieser Evolution war Damon Lindelofs „Watchmen“-Adaption, bei der schon das Ausgangsmaterial hervorstach. Es befreite die Protagonisten aus Welten, in denen am Ende nur zählt, wie oft man wieder aufsteht, nachdem man gestürzt ist.
Das ist Fernsehen für alle
Wie gelingt das? Mit einer radikalen Stil-Kur und dem Willen zum Spiel mit Tempo, Ton, Sprache, Optik, Witz – all das wechselt von Folge zu Folge, während die Handlung ein Rätsel auf das andere türmt. Auf was oder wem die Serie beruht, spielt keine Rolle. Das ist Fernsehen für alle, die sich nicht durch Etiketten – Superhelden, Antihelden, Comichelden, Comicverfilmung – abschrecken lassen.
Diese Entwicklung haben die klugen Köpfe bei Disney nicht versäumt, die neben den Comic-Universen von Marvel auch ihr eigenes Reich erhalten müssen: Durch die „Kraft“ des „einmaligen Geschichtenerzählens“ zu „unterhalten, zu informieren und zu inspirieren“, das sei die Mission, heißt es auf der Website. Nur scheint man bei Disney noch nicht ganz sicher zu sein, ob man diese Mission mit der Marvel-Serie „WandaVision“ erfüllt. Fürchtet man sich vor Spielverderbern, die im Internet vorab den Twist von Mystery-Serien verraten? Jedenfalls gab es für uns nicht mehr als drei Folgen zu sehen.
Doch die beginnen unter der Autorenschaft von Jac Schaeffer und der Regie von Matt Shakman so erfrischend irritierend, wie man es bei kaum einer Marvel-Produktion gesehen hat: mit einem „ungewöhnlichen Paar“ in einem sterilen amerikanischen Vorort in den fünfziger Jahren – und in Schwarzweiß. Elizabeth Olsen und Paul Bettany spielen zwei Helden, die in den Filmen zu kurz kommen: Wanda Maximoff alias „Scarlet Witch“, eine magisch begabte Seherin mit sokovianischen Wurzeln, und „Vision“, eine (fast) Mensch gewordene Künstliche Intelligenz in einem mechanischen Körper.
Das Publikum wird ins Rätselgefängnis geworfen
Als Paar wirken die beiden, als hätte der elegante Bruder von Mork vom Ork („Mork & Mindy“, 1978) die Hexe Samantha („Verliebt in eine Hexe“, 1964) geheiratet; nur dass sich beide kaum erinnern, wie das geschehen sein soll. Das Publikum wird gewissermaßen mit ihnen ins Rätselgefängnis geworfen, das in Ton, Bildformat und Farbe einer Sitcom der Fünfziger daherkommt, als wären wir bei „I Married Joan“ mit Joan Davis. Zwar ist diese skurrile Nachahmung schon an sich sehenswert, sie bekommt durch das Wissen um den Hintergrund der Figuren, das ihnen selbst abhandengekommen zu sein scheint, jedoch eine grandios genutzte Doppelbödigkeit. In der Art, wie sich das Betrachten eines Gemäldes ändert, wenn man weiß, dass das Kind in den Armen der abgebildeten Mutter für viel mehr steht als ein menschliches Baby.
Mit jeder Folge macht „WandaVision“ einen weiteren Knicks vor der Evolution des Erzählens (über-)menschlichen Lebens auf dem Bildschirm, während wir Wanda und Vision im Zeitraffer zusehen, wie sie das erste Essen mit dem Chef meistern, eine Zaubershow zugunsten der Grundschule bestreiten und zwei Kinder bekommen – auch wenn zwischen Zeugung und Empfängnis nicht mehr als ein Tag liegt. In der dritten Folge werden die Bilder plötzlich wie im Film „Pleasantville“ in Farbe getaucht. Da ist aber selbst den Figuren bereits glaskugelklar, dass etwas in ihrem perfekten Leben nicht stimmt, dass ihre Umwelt merkwürdig gereizt auf Irritationen reagiert.
So wie das Theater einst begann, seine Figuren zwecks spielerisch-experimenteller Hinüberrettung in die Zukunft in anderen Umgebungen und Zeiten zu verorten, so hat die Superhelden-Filmindustrie der Traditionsverlage wohl begriffen, das Heldinnen und Helden nicht nur durch magisch entladene Tragik und Pathos zu Menschen, also glaubwürdigen Figuren, werden, sondern nur wieder fliegen lernen, wenn sie erst einmal vergessen, wie das geht.
WandaVision läuft bei Disney+.