Jan Böhmermann : Spießbürger oder Nervensäge?
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Jan Böhmermann – hier bei der Verleihung des Deutschen Fernsehpreises im Januar Bild: dpa
Am Montag entscheidet die Bundesregierung, ob Jan Böhmermann – wie von der Türkei gefordert – strafrechtlich verfolgt werden soll. Ist er wirklich der Aufrührer, als der er sich aufspielt?
„Ich möchte Jan Böhmermann wählen können“, postete jemand (Typ Mitte dreißig, irgendwas mit Medien) auf Facebook, nachdem Böhmermann das Lied „Be Deutsch“ veröffentlicht hatte. Seither ist einiges passiert und Böhmermann überall: In seiner Sendung vom 31. März trug er ein Gedicht auf den türkischen Präsidenten Erdogan vor, das „Schmähkritik“ hieß und das genau das tat, was sein Titel versprach: Erdogan sinnlos und komplett unsachlich beleidigen. Damit, so die nächstliegende und vernünftigste Interpretation, sollte der Unterschied zwischen der in Deutschland geschützten Meinungsfreiheit und der in Deutschland nicht zulässigen Schmähkritik deutlich gemacht werden. Denn zuvor war, als Reaktion auf einen satirischen Beitrag des Magazins „Extra 3“ zum Thema Erdogan, der deutsche Botschafter in der Türkei ins Außenministerium einbestellt worden. Und Böhmermann wollte dann wohl zeigen, wann es dafür wirklich einen Grund gibt. Der Plan ging phantastisch auf: Das ZDF entfernte das Gedicht aus der Mediathek, Angela Merkel telefonierte mit dem türkischen Premierminister Davutoglu, wobei sie die Schmähkritik als „bewusst verletzend“ (surprise) bezeichnete, und schließlich wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft Mainz gegen Böhmermann „ermittelt“ (wegen: Verdachts der Beleidigung von Organen oder Vertretern ausländischer Staaten). Inzwischen fordert die Türkei seine strafrechtliche Verfolgung.
Nun fällt das Gedicht ausgerechnet in eine Zeit, in der Deutschland sich mit der Türkei besonders gut verstehen muss, weil es da dieses Problem mit den Flüchtlingen gibt, bei dem die Türkei helfen soll. Wodurch Böhmermanns Pressefreiheits-Show eine zusätzliche, sehr politische Dimension bekommt, die irgendwo im Subtext des Gedichts herumschwappt. Ob das Böhmermanns Absicht war, kann keiner sagen, sicher ist nur: Der Stunt hat funktioniert, genial gedacht und umgesetzt. Clever, reaktionsschnell, super gelaufen, vor allem für: Jan Böhmermann, dem man wohl all die eben genannten Eigenschaften zuschreiben kann.
Er ist schlau, schnell und hat ein gutes Gespür dafür, was im Internet explodieren könnte. Mehr weiß man eigentlich nicht über ihn (abgesehen von: „mehrfacher“ Vater, trinkt keinen Alkohol, hatte mal Neurodermitis, Polizistensohn), weil er nicht will, dass man mehr weiß. In Texten zu seiner Person wird er gelegentlich als arrogant beschrieben, als so ähnlich wie Harald Schmidt (kalt) und als hochbegabt, zynisch und karrieregeil. Wenn man ihm bei seiner ZDF-Sendung „Neo Magazin Royale“ zusieht, fällt aber vor allem eines auf: dieser unglaublicher Wille zu - ja, zu was eigentlich? Action, Stress, Theater. Womit er sich eben von den meisten ZDF-Menschen unterscheidet, und genau das, kann man sagen, ist ja auch der Deal zwischen dem ZDF und Böhmermann: dass sich seine Identität in Abgrenzung zum schwerfälligen, braven ZDF-Wesen konstituieren soll. Der „Neo Magazin“-Sprecher und Einspieler-Onkel William Cohn etwa macht das deutlich: Er sieht aus wie Helmut Kohl, das heißt, wie das alte ZDF beziehungsweise das alte Deutschland, und im Dialog mit ihm wird sich davon konstant ironisch distanziert. Trotzdem sind beide, Böhmermann und das Alte, völlig verheiratet und können nicht ohne einander, und diese Ehe und ihre scheinbaren Spannungen machten und machen viele Fernsehkritiker sehr glücklich.
Und das junge Publikum auch. Die sogenannten Millennials (Menschen zwischen Anfang zwanzig und Mitte dreißig, die neben dem Studium bei Starbucks arbeiten, tätowiert sind, einen frechen Irokesenschnitt tragen und trotzdem keine Schwierigkeiten damit haben, circa 700 Mal am Tag „Und wie ist dein Name, meine Liebe?“ zu fragen, also kurz: Menschen, die jederzeit „supi“ sagen würden) – diese Menschen sind es, die im Publikum des „Neo Magazins“ sitzen und mitunter so begeistert sind, dass sie Böhmermann wählen wollen. Wobei dies vermutlich eben vor allem eher für akademische Twitter-People gilt als für Leute ohne Abitur und „Zeit“-/„taz“-/„F.A.Z.“-Follower-Existenz. Zumindest legt das die Internet-Zustimmung nahe, wenn man sie studiert. Böhmermann ist der aktuelle Jugend-Leader für all jene, die ihrem Selbstverständnis nach schlau und ein bisschen unangepasst sind. Eben so, wie sich das für junge Menschen gehört.
Dabei hilft, dass Böhmermann als rebellisch, als frech, ungezogen und „nicht massentauglich“ („Zeit-Magazin“) gilt, und dabei hilft natürlich auch, dass Angela Merkel persönlich ihn ausgeschimpft hat. Tatsächlich hat die Erdogan-Sache aber vor allem eines gezeigt, nämlich: wie perfekt dieses Deutschland, seine Regierung, seine Gesetze, die „Debattenkultur“ und das öffentlich-rechtliche Fernsehen, inklusive Böhmermann, angesichts einer solchen Affäre zusammenarbeiten und letztlich harmonieren. Ein bezahlter Rebell wird von einer Institution, die ihn bezahlt und als Rebell installiert hat, gemaßregelt, nachdem dieser, mit Ansage, etwas falsch gemacht hat, das man in der Bundesrepublik Deutschland nicht falsch machen soll. Woraufhin die Regierung öffentlich sagt, dass jener Rebell da wirklich etwas falsch gemacht habe, die Staatsanwaltschaft, weil er mutmaßlich etwas falsch gemacht hat, aktiv wird und die Presse von ihrer Pressefreiheit Gebrauch macht, indem sie darüber streitet, ob der Rebell nun tatsächlich etwas falsch gemacht hat. Und die jungen Menschen Deutschlands (die Zielgruppe des ZDFs) zusätzlich und für nur 17,50 Euro das für das Erwachsenwerden so wichtige Gefühl geschenkt bekommen, ihnen stehe ein echter Rebell vor. Es läuft alles einwandfrei hier.
Immer auf der richtigen Seite
Wenn man die Angelegenheit so betrachtet, wirkt die Idee, man habe es bei Böhmermann mit einem unangepassten Freidenker zu tun, relativ komisch. Tatsächlich ist Böhmermann das neue Establishment, er ist das, was danach kommt. Ein Superbürger in Angela Merkels Wir-schaffen-das-Sinn, der, genau wie seine Zuschauer-Generation, alles richtig macht (straight nach oben, wissen, wer Kant ist, also wirklich intelligent sein, die AfD blöd finden). Er macht sogar richtig, dass er seine Bürgerhaftigkeit und Spießigkeit thematisiert und sich zu ihr auf Fotos, in Interviews oder seiner Show fortwährend ironisch verhält. Er ist völlig unangreifbar, denn er ist immer auf der richtigen Seite (gegen Pegida und Til Schweiger, klar, aber auch, im Sinne der staatlich geförderten Rebellion, mal bisschen politisch inkorrekt sein und mit, huch, Rassismus spielen, denn jemand aus seinem gesellschaftlichen Milieu ist natürlich nicht wirklich rassistisch, das sind nur die Dummen), und selbst, wenn er Fehler macht, macht er sie richtig. Wozu ihm an dieser Stelle ausdrücklich gratuliert wird, denn es geht hier nicht darum, Jan Böhmermann scheiße zu finden (tatsächlich ist er ja innerhalb seines Funktionsrahmens so unglaublich perfekt), sondern um ein Phänomen (und seine Fans).
Das im Merkel-Sinne absolut vorbildliche Bürger-Selbstverständnis etwa wird deutlich, wenn man sich Böhmermanns jüngstes Musikstück „Be Deutsch“ und das dazugehörige Video ansieht. Darin erklärt Böhmermann, was für ihn modernes Deutschsein im Jahr 2016 bedeutet, indem er eine aufgeklärte, weltoffene, tolerante Gruppe von Deutschen einer Gruppe von keifenden, hässlichen AfD-Rassisten gegenüberstellt, die seinem Verständnis nach nicht zu dem Volkskörper des fortschrittlichen Deutschlands gehören. Hier, so lehrt das Video (tatsächlich, man glaubt, man sitzt auf einer Bank und guckt nach vorne an die Tafel), hier in Deutschland gelte die Pressefreiheit, das Grundgesetz, der Rechtsstaat, und hier ist man wirklich deutsch, das heißt: nice, liberal, compassionate, considerate, reasonable, social, multicultural. Das Holocaust-Land habe aus seiner Geschichte gelernt („We’ve learned our lessons, take our advice“) und sei nun stolz darauf, nicht stolz zu sein, womit ein neuer deutscher Patriotismus perfekt auf den Punkt gebracht wird. „Be Deutsch“ ist superstolz und abgesehen von ein bisschen Alibi-Ironie (Deutsche tragen Birkenstock und Fahrradhelme, hihi) und einer eher niedlichen Inkorrektheit (mit Rammstein-Stimme „Be Deutsch“ singen) absolut ernst gemeint und ungebrochen. Daraus folgt erstens ein elitäres Selbstverständnis - was per se nichts Schlechtes ist, in diesem Fall aber bedeutet, dass man sich selbst ein gutes Gefühl macht, indem man andere abwertet.
Das Markieren von sozialen Unterschieden (häufig in den Kategorien intelligent/dumm) gehört zum Standard-Repertoire Böhmermanns. Dessen im letzten Jahr veröffentlichtes Rap-Lied „Polizistensohn“ machte sich zum Beispiel darüber lustig, dass ein Mann aus einem bürgerlichen Umfeld die Polizei rufen würde, wenn es Probleme gebe, während Rapper mit sich selbst oder ihrer Crew drohen. Was völlig korrekt ist und insofern eigentlich eher traurig, auch, weil somit Loser ausgelacht werden, die, ohne dass es ihnen klar wäre, damit angeben, welche zu sein. Natürlich war da auch ein bisschen Sicherheits-Ironie die eigene ungefährliche Herkunft betreffend dabei, aber das Lied zeigte (mit sehr gewöhnlichen Erkan-und-Stefan-Humor) eben auch, wo in Deutschland oben und unten ist.
Etwas Ähnliches, also eine Art Platzzuweisung und eine Fortschreibung dieser Platzverteilung, passiert auch in dem „Be Deutsch“-Lied. Denn die Gruppe (AfD-Fans, Pegida), die darin abgewertet wird, bezieht ihren Antrieb ja auch daraus, dass sie das Gefühl hat, marginalisiert zu werden. Sie ist es, um deren Deutschland-Integration man sich in der Böhmermann-Logik wirklich Gedanken machen müsste. Das pädagogisch-patriotische „Be Deutsch“-Lied hingegen sagt, dass die AfD und so weiter nicht dazugehören dürfen, und dient damit vor allem: der Selbstvergewisserung. Eine, die man billiger nicht haben könnte, denn natürlich sind sich alle Deutschen, die sich für liberal und aufgeklärt halten, in ihrem Deutschsein insofern einig, als sie Frauke Petry und Beatrix von Storch indiskutabel finden. Die beiden AfD-Frauen sind es auch, über die sich Böhmermann in seiner Sendung regelmäßig lustig macht, wobei aber nie gesagt wird, was an dem Böhmi-Deutschland so toll ist, außer, dass es besser ist als das AfD-Deutschland. Es geht nicht um Kritik, nur um Distinktion.
Das Äquivalent dazu sind diese schlauen Füchse, die man von Facebook kennt und die, in der absoluten Sicherheit, dafür ein paar Likes zu bekommen, regelmäßig irgendwelche AfD-Schwachsinns-Videos posten und sie mit einem ironischen Kommentar versehen (oder „OMG“ oder „Ich dachte echt, den Tiefpunkt hätten wir schon erreicht“). Wie sehr Böhmermann mit seinem Selbstbestätigungs-Lied den Geist eines bestimmten Milieus artikuliert, zeigt auch die Reaktion der Millennial-Idioten-Seite „Bento“, ein Projekt des „Spiegels“, um jüngere Leser zu gewinnen („Welcher Workout-Typ bist du?“, „Unsere Freunde haben Babys. Wir bekommen es nicht mal hin, einen Kaktus zu pflegen. Na und?“). Dort schreibt ein junger Autor, der „Schweden und das Internet mag“, über „Be Deutsch“, dass es zeige, wie Deutschland wirklich sei. „Ausgerechnet Deutschland, das Europa einst in zwei Weltkriege stürzte und in Rassen unterteilte, verteidigt jetzt Weltoffenheit und Toleranz. (. . .) Weil das ehemalige Nazi-Land aus seiner Geschichte gelernt hat.“
Jene Mentalität des stolzen Nicht-Stolzes, die Böhmermanns „Be Deutsch“-Video transportiert und die bei jungen Menschen, die Schweden und das Internet mögen, offenbar so hervorragend ankommt, steht in direkter Tradition des „Sommermärchens“ aus dem Jahr 2006. Und daraus folgt zweitens und für Böhmermann, dass der ein absolut staatsgläubiger Vorzeige-Bürger ist, der seinen Bildungsauftrag sehr, sehr ernst nimmt - zumindest tat er das bislang, es kann natürlich sein, dass er dem rechtsstaatlichen Deutschland (Be Deutsch!) die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft übelnimmt, aber das wäre ein bisschen dumm, und dumm ist er ja eigentlich nicht. Aber er ist auch kein Rebell. Er ist ganz und gar ein Sohn Deutschlands, und zwar genau so einer, wie es ihn sich dieses moderne Germany wünscht.