Sky-Doku über Claas Relotius : Seine Lügen passten einfach zu gut ins Konzept
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Preise bekam er haufenweise, weil seine Texte dem Wunschdenken entsprachen: Claas Relotius Bild: Sky
Der Film „Erfundene Wahrheit“ rekapituliert die Geschichte des Betrügers Claas Relotius, den der „Spiegel“ zum Star machte. Die Opfer des Fälschers rücken in den Blick.
Der freie Journalist Juan Moreno holt eine Pappkiste vom Schrank. Gekennzeichnet ist sie handschriftlich mit den Worten „Die Riesenscheiße“, darin alle Unterlagen, die Moreno erst viel Ärger eingebracht und ihn dann berühmt gemacht haben. „Spiegel“-Chefredakteur Steffen Klusmann bevorzugt den Begriff „Clusterfuck“. Es sind Hilfsausdrücke, um einen der größten Medienskandale Deutschlands zu umschreiben, der auch international Wellen schlug.
Der Aufstieg des Wunderkinds Claas Relotius begann mit dem Text „Der Mörder als Pfleger“, eine Geschichte über alzheimerkranke Häftlinge in den Vereinigten Staaten. Damit wurde er schlagartig berühmt, bekam viele Preise und wurde in der Medienbranche weithin umworben. Das sei eigentlich Literatur, hieß es damals, das habe etwas Filmisches. Es hat im Nachhinein eine gewisse Ironie, dass diese Begriffe gewählt wurden, die seine Reportagen über den bloßen Journalismus herausheben sollten in die Sphäre der Kunst.
Dann kam, nach zwei Monaten Probearbeit, die Anstellung beim „Spiegel“. „Und dann hat er halt geliefert“, sagt Steffen Klusmann. „Geschichten, die so toll waren, dass man kaum glauben konnte, dass es das da draußen gibt.“
In Daniel Andreas Sagers Dokumentation „Erfundene Wahrheit – Die Relotius Affäre“ kommen diese beiden zu Wort, der Freie und der Chefredakteur, die nah dran waren an dem Skandal und seiner Aufdeckung. Viele weitere, die darin verstrickt waren, wollten nicht interviewt werden, der Film zählt ihre Namen am Ende auf. Das ist natürlich schade, aber andererseits verhindert es, dass wiedergekäut wird, was man schon so oft gelesen hat. Stattdessen schaut sich die Dokumentation an den Schauplätzen der Reportagen um und stellt Relotius’ Beschreibungen gegen Bilder vor Ort. In der Reportage „Die letzte Zeugin“ ist von Gräbern Hingerichteter die Rede, auf denen die Namen kaum noch zu lesen seien. Die Kamera fährt über Grabkreuze, darauf nur Nummern. Er war also wirklich nicht einmal dort.
Frühe Verdachtsmomente
Auch gab es immer wieder Ungereimtheiten, die auffielen, die aber an der Redaktion und dem grenzenlosen Vertrauen zu ihrem Goldjungen abgeprallt sind. Da war zum Beispiel Syara Kareb, ein kurdischer Kameramann, der sich im Auftrag von Spiegel-TV auf die Spur des minderjährigen Selbstmord-Attentäters begibt, der in der Relotius-Reportage „Löwenjungen“ beschrieben ist. Beim Interview mit Kareb erklärt der Junge, nie mit Relotius gesprochen zu haben. Der Kameramann meldet das an Spiegel-TV weiter, aber man habe ihm nicht geglaubt, sagt er. Relotius sei sehr berühmt, er habe doch viele Preise bekommen.
Oder die freie Journalistin Asia Haidar, die Relotius im Auftrag des „Spiegels“ half, die Geschichte „Ein Kinderspiel“ über die Ursachen des syrischen Krieges zu recherchieren. Sie ist selbst als Flüchtling 2015 nach Deutschland gekommen und hat großes persönliches Interesse an dem Thema. Nach einem Jahr der Faktensuche habe Relotius plötzlich den Kontakt abgebrochen und den Rest alleine gemacht. Er überschrieb die mühsam recherchierten Tatsachen mit seinen Lügen und bekam dafür den Reporterpreis. Haidar teilte er nicht einmal die Nominierung mit. Sie sei wütend und enttäuscht, sagt sie, „dieser Artikel gilt jetzt als Fake“. Das habe er nicht nur ihr angetan, sondern dieser ganzen äußerst sensiblen politischen Erzählung, wie die Revolution in Syrien begonnen habe.
Oder natürlich Fergus Falls, die amerikanische Kleinstadt, die als typische Trump-Hochburg herhalten muss. Relotius war da, berichten Einwohner. Mit ihnen gesprochen habe er aber nicht. Und schließlich „Jaegers Grenze“, die Räuberpistole über die Bürgerwehr, die angeblich auf mexikanische Flüchtlinge schießt – der Text, den er zusammen mit Juan Moreno schrieb. Auch Tim Foley von der „Arizona Border Recon“ kommt in der Dokumentation zu Wort, der Mann, den Relotius angeblich nachts im Gebirge bei der Patrouille begleitet hat. Der von Moreno mit dem Artikel über ihn konfrontiert wird und sich schlapplacht über das, was da über ihn geschrieben wird. „Der Typ hat wahrscheinlich im Hotel gesessen und LSD genommen“, ist seine erste Reaktion.
Bis der „Spiegel“ sich von Moreno und seinem Freund, dem Fotografen Mirco Taliercio, endlich überzeugen lässt, vergehen Wochen. Warum, ist noch immer nicht ganz klar. Stück für Stück sei es herausgekommen, jeden Tag etwas Neues, berichtet Chefredakteur Steffen Klusmann. Seine größte Sorge sei gewesen, „dass wir einen Nackenschlag bekommen, von dem wir uns nicht erholen“.
Was sich vermutlich so schnell nicht erholen wird, ist das Genre der alles erklärenden Reportage, die Larger-Than-Life-Szenen inszeniert und in der sogar der Song, der gerade zufällig im Radio läuft, das Geschehen zu kommentieren scheint. „Was diese Texte gemacht haben, ist, sie haben einem das Gefühl gegeben, dass die Welt nicht sehr kompliziert ist“, sagt Juan Moreno. „Sie haben einen in den Arm genommen und in dem bestätigt, was man dachte.“
Einer, der auch zu Wort kommt, ist Dennis Betzholz. Im Jahr 2013 wird er eingeladen, zusammen mit Relotius zwei Monate beim „Spiegel“ zur Probe zu arbeiten. Er gibt alles, doch am Ende bekommt er keine Stelle angeboten, Relotius schon. Betzholz ist nun glücklich im Lokalteil der „Kieler Nachrichten“ gelandet und sucht keine großen Geschichten mehr, die die Welt erklären, sondern die kleinen, die nah dran sind an der Lebenswirklichkeit der Menschen.
Erfundene Wahrheit – Die Relotius Affäre läuft um 20.15 Uhr auf Sky Documentaries.