Neue Staffel „Babylon Berlin“ : Der Triumph der Babylonmaschine
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Der erzählerische Anlass dieser fiktionalhistorischen Collage stammt auch diesmal von dem Krimiautor Volker Kutscher. Aber wie schon in den vorigen Staffeln nehmen Tom Tykwer, Achim von Borries und Henk Handloegten, die drei Regisseure der Serie, auch in „Goldstein“ die Vorlage so gründlich auseinander, dass man deren Spuren nur noch mit Mühe erkennt. Der Titelheld etwa kommt zwar wie bei Kutscher nach Berlin, um eine Familienangelegenheit zu regeln, aber diesmal geht es nicht um einen sterbenden Großvater, sondern einen geraubten Diamanten, der sich im Besitz der uns wohlbekannten Industriellenfamilie Nyssen (Lars Eidinger und Marie Anne Fliegel als Duo infernale des deutschen Geldadels) befindet. Und der Kampf der Ringvereine um die Macht im Halbschatten der Hauptstadt ist mindestens zwei Nummern größer gezeichnet als im Roman, mit Serienmorden, Autobomben und dem finalen Auftritt eines Rächers mit der Thompson-Maschinenpistole, bei dem kein Stuhl im Konferenzraum des Polizeipräsidiums unbefleckt bleibt.
Die Republik verzischt wie eine Rakete
Diese überdrehte, überdimensionierte, aus scheinbar unvereinbaren Getriebeteilen montierte Babylonmaschine aber funktioniert perfekt. Um zu verstehen, warum, genügt es, sich die Szene in der ersten Episode gründlich anzuschauen, in der Gereon und Charlotte einander in der Silvesternacht auf dem Ku’damm begegnen, er in SA-Uniform, sie mit dem Fotoapparat der Mordkommission in der Hand. Hier stimmt alles: die Inszenierung seiner Scham und ihres Entsetzens, die Kamera, die den Augenblick in Zeitlupe festhält, die Bauten von Uli Hanisch, die Musik von Tykwer und Johnny Klimek. Und dann setzt die Regie noch eins drauf, indem sie parallel den katzbuckelnden Auftritt des realen Reichskanzlers Brüning bei der Silvesterparty des fiktiven Alfred Nyssen zeigt. Der Start einer Rakete krönt die Feier. Ihr Schweif erhellt den Himmel über den Straßenkämpfern. Die Republik verzischt.
Doch noch ist der Weimarer Staat nicht ganz verloren, denn die braune Bewegung hadert mit sich selbst. SA-Mann Stennes (Hanno Kofler) sieht sich von der Münchner Parteiführung um Hitler an den Rand gedrängt und besetzt mit seinen Anhängern die Berliner Nazizentrale, bis er von SS-Kommandos überwältigt wird. Tatsächlich fand der „Stennes-Putsch“ erst im April 1931 statt. Aber auch hier dient die zeitliche Kontraktion der dramaturgischen Wahrheitsfindung. Rath handelt im Auftrag des Polizeipräsidenten, indem er Stennes’ Aktion unterstützt, während der Chef der politischen Polizei seine Mission torpediert. Dieser Günther Wendt ist der Kopf des Bösen in der Serie, und es macht Freude, Benno Fürmann dabei zuzusehen, wie er seine Figur immer tiefer in die Vorgeschichte der nationalsozialischen Machtübernahme einschreibt. Selbst die Liebe darf dieser stiernackige, dabei tadellos das Tanzbein schwingende Erzreaktionär in der neuen Staffel erleben. Allerdings ist er nicht der Einzige: Das größere Liebesglück wird Gereon Rath zuteil.
In letzter Zeit wird wieder viel über den deutschen Film debattiert und über die Krise der Kinobranche, aus deren Abgaben er sich finanziert. Bei den Nominierungen für den Auslands-Oscar war die Auswahl so schwach, dass Edward Bergers Netflix-Produktion „Im Westen nichts Neues“ das Rennen machte (F.A.Z. vom 28. September). Wenn man jetzt „Babylon Berlin“ sieht, erkennt man, dass die Krise keine finanzielle ist, sondern eine des Systems. Die kreativen Kräfte, die in die Serie geflossen sind, gehen der Branche seit Jahren verloren. Das Spitzenprodukt der deutschen Filmwirtschaft – hier ist es. Nur dass es nicht mehr im Kino läuft, sondern auf unseren Endgeräten, wo immer und wann immer wir wollen.
Babylon Berlin startet heute um 20.15 Uhr auf Sky One.