TV-Comedy „Kevin Can Wait“ : Lustiges aus Rentenhausen
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Das kommt in den besten Familien vor: Erinn Hayes, Kevin James und Taylor Spreitler (von links) in „Kevin Can Wait“. Bild: RTL Nitro
Die Sitcom „Kevin Can Wait“ mit Kevin James ist recht neu, wirkt aber wie ein Relikt aus der Ära ramdösigen Zeittotschlagfernsehens. Das ist schrecklich, aber irgendwie auch behaglich.
Die Sitzfleischbezugnahme ist eine Pseudo-Etymologie. In Wahrheit steht der Begriff „Sitcom“ trotz all der abstrusen Couchgarnituren, auf denen ein guter Teil der Handlung stattfindet, ganz schnöde für „Situation Comedy“. Dabei scheint sich an den Vorstellungen über den Alltag, in dem sich solche Situationen ergeben, so wenig zu ändern wie an den Witzen: „Wir haben ‘ne Rechnung über neunzig Mäuse für vier Pakete mit Muskelmilchproteinpulver?“ „Oh, das war ich, ich hab ‚Rocky 3‘ gesehen, das hat mich angespornt.“
An solchen Dialogen sind alle politisch-gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte spurlos vorübergegangen. Warum aber sollte man auch krampfhaft nach Aktualität streben? Es geht hier schließlich um archetypisches Wohnzimmer-Verhalten normal-verrückter Durchschnittspantoffelträger. In der Regel sind das liebenswert überhebliche Bier-Grill-Baseball-Männer, hübsch-clevere Ehefrauen mit Innendesignfimmel und schnippische Kinder, die unablässig Kellog‘s Frosties in sich hineinschaufeln. Von echten Familien, selbst von amerikanischen, ist das so weit entfernt wie „Peppa Wutz“ von einem Schweinestall.
Kevin James darf als Goldstandard für diese Form von auf Pointe gebürsteter, live vor Publikum aufgenommener Fernsehunterhaltung gelten. Seine zehn Jahre lang (bis 2007) höchst erfolgreiche, in Schauspiel wie Timing vorzügliche Chaos-Ehe-Serie „King of Queens“ unterschied sich von den noch harmloseren Vorgängern des Genres nur dadurch, dass sie bei aller Flapsigkeit auch ernstere Schicksalsschläge wie eine missglückte Schwangerschaft der Serienpartnerin Carrie (Leah Remini) thematisierte. Nach einer wiederum knapp zehnjährigen Pause, in der James unter anderem zweimal als naiv tollpatschiger Kaufhaus-Cop seine kleine Welt rettete, kehrte er 2016 für CBS und Amazon als Protagonist einer eigenen Live-Sitcom zurück, die nun erstmals im deutschen Free-TV zu sehen ist.
Das im Vorspann gezeigte uramerikanische Anwesen (also aus Pappe und Kleister) wirkt großzügiger als das steinerne von Doug Heffernan aus Queens; der optisch kaum gealterte Hauptdarsteller heißt nun Kevin Gable und ist nach einem wenig aufregenden Leben als Streifenpolizist – James bleibt in seinen Rollen konsistent – soeben in Vorruhestand getreten. Außerdem haben er und seine reizend absolutistische Gattin Donna (Erinn Hayes) diesmal drei Kinder. Ansonsten aber ist alles zum Verwechseln ähnlich zwischen den beiden Sitcoms. Sogar einen nur halb geliebten Mitbewohner gibt es hier wie dort, damals war das Dougs Stiefvater, diesmal ist es der leicht nerdige Verlobte (Ryan Cartwright) von Kevins schlagfertiger Tochter Kendra (Taylor Spreitler).
Um die Illusion perfekt zu machen, spielt ab Staffel zwei auch Leah Remini wieder eine Hauptrolle. Die Macher wollten mit der Rückkehr zum sich ständig kabbelnden Traumpaar aus „King of Queens“ das Schwinden der Zuschauergunst während der ersten Staffel aufhalten, mussten für die neue Protagonistin aber erst einmal Platz schaffen. Das geschah auf allzu rabiate Weise: Die sympathische Donna starb ohne Vorwarnung den Serientod und wurde danach so gut wie nicht mehr erwähnt. Das Publikum nahm diesen billigen Abgang so übel, dass nach der zweiten Staffel endgültig Schluss war.
Lohnt es sich also überhaupt, mit dieser Serie zu beginnen? Wenn man etwas für gut gemachtes Volkstheater in all seiner Vorhersehbarkeit übrig hat und wenn einen der übertriebene Lachkonserven-Einsatz nicht stört, dann vielleicht. Das ständige Pläneschmieden von Kevin und seinen Frührente-Freunden, das selten über bierseliges Pizzamampfen und Baseballschauen hinausgeht, aber permanent mit der Lebensauffassung oder den Arbeitsaufträgen (Dachrinne reinigen) der Chefin Donna kollidiert, mag zwar schnell seinen Reiz verlieren, aber die Grundidee, den Käfigkoller eines gesellschaftlich aussortierten und sich nun ständig neue Selbstbestätigungen suchenden Familienvaters aufzuspießen, ist ja nicht verkehrt.
Als wichtigstes Argument für die Serie darf wohl der Hauptdarsteller gelten. James verleiht seinem behaglich antiquiert anmutenden, schließlich seit Jahrzehnten immer weiter verfeinerten Charakter des vollschlanken, tapsigen Bären so viel Würde und Herz, seine Gestik ist so enthemmt, seine Mimik so punktgenau, dass man diese Show mit ihren pappigen Familienklischees und dem gar nicht immer nur schlechten Humorkleister („Das riecht so komisch.“ „Meine Kerze.“ „Duftet nach Hackbraten.“ „Ist ‘ne Hackbraten-Kerze“) als kuriosen Tauchgang in die Fernsehvorzeit genießen kann. Lieblich weltfern schien man sich das Private damals noch vorzustellen, uneinnehmbar die Festung des Zuhause, sicher die Rente. Das größtmögliche Unglück war, dass ein Entsafter den Elektrogrill von der Anrichte verdrängte. Wen die Nostalgie hier noch nicht packt, der schaue in zehn Jahren noch einmal vorbei: Kevin kann warten.
Die 48 Episoden der beiden Staffeln von Kevin Can Wait laufen von Montag an immer werktags, um 19.30 Uhr in Doppelfolgen auf RTL Nitro.