„The Handmaid’s Tale“ : Sie blickt dem Grauen ins Gesicht
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Die Magd Desfred – die ihren eigenen Namen nicht mehr tragen darf und stets nach den Mann benannt wird, dem sie aktuell gehört – versucht, in der radikal religiösen Gesellschaft von Gilead zu überleben. Bild: Hulu
Die Serie „The Handmaid’s Tale“ nach Margaret Atwood wirkt erschütternd aktuell. Sie macht die Zuschauer zu Augenzeugen einer Gesellschaft, die Frauen versklavt und missbraucht.
Wozu braucht eine Reproduktionsmagd beide Augen? Im Alten Testament, aus dem bei der zeremoniellen Vorbereitung des Akts der Dienstherr die Verse über Rahels Verdorrtheit und ihre großmütige Bereitstellung der Magd Bilha als Gefäß des Erzvatersamens Jakobs vorliest, steht nichts dergleichen. Für die in Gilead staatlich angeordnete Bilha-Nachfolge der Magd sind funktionierende Eierstöcke und eine robuste Gebärmutter hinreichende Voraussetzung.
Davon abgesehen, sind Mägde in der Republik, die sich durch Umweltzerstörung und daraus folgende Unfruchtbarkeit an den Rand der Selbstauslöschung gebracht hat, nur Mittel zum Zweck. Eine Magd ist ein Ding, über das verfügt wird. Beneidet von unfruchtbaren Ehefrauen und einfachen Haushilfen („Marthas“ genannt), versklavt, gezeichnet mit einer numerierten Ohrmarke und einem fremden besitzanzeigenden Namen. Solange sie schwanger wird und keine „Unbabys“, mangelhafte Ware, ausliefert, ist ihr Überleben Pflicht.
Also, wozu zwei Augen? Die Entfernung des halben Lichts als Strafe für Unbotmäßigkeit ist gnädig, genau wie das Instrument der Gruppenvergewaltigung, denn offen Rebellierende werden zum Giftmüllentsorgen in die Kolonien gebracht, ein sicheres Todesurteil. „Normal ist nur das, woran man gewöhnt ist“, bläut die Aufseherin Tante Lydia (Ann Dowd) den Novizinnen im Umerziehungszentrum Rotes Haus ein.
Normal ist, dass der Sprachaustausch der Mägde nur mittels vorgeschriebener Worthülsen stattfinden darf. Dass sie zu knien haben und sich zu schrubben vor dem still hinzunehmenden Gewaltakt. Dass sie ihrem Herrn nicht ins Gesicht blicken dürfen. Dass sich ihr Kopf im Rhythmus des Befruchters auf dem Schoß der Ehefrau hin und her bewegt, während die Gatten sich in bizarrer Dreisamkeit in die Augen schauen. Dass überall „Augen“ lauern, eine Art Gestapo. Und dass Deckenlampen entfernt werden, an denen sich Mägde dem Missbrauch durch Erhängen entziehen. Irgendwo existiert das freie Kanada und kämpfen Aufständische um ein freies Amerika. Irgendwo, erfährt Desfred (Elisabeth Moss) von Desglen (Alexis Bledel), gibt es ein Untergrundnetzwerk zur Befreiung.
Aus der mit bildmächtiger Souveränität dargestellten Normalitätsbehauptung der gewaltsamen Normierung ergibt sich die kritische Sprengkraft der Dystopie von Gilead, die Margaret Atwood vor mehr als dreißig Jahren veröffentlicht hat. Inzwischen ist „The Handmaid’s Tale“ (Der Report der Magd) Schullektüre und Abiturthema im deutschen Englischunterricht. 1990 wurde das Werk von Volker Schlöndorff unter dem Titel „Die Geschichte der Dienerin“ verfilmt. Desfreds Leidensweg und Widerstand in einem totalitären Pilgerväter-Puritanerland, in Nonnentrachtentpersönlichung und unter „Lebensborn“-Umständen, könnte inzwischen schlecht gealtert sein wie manche anderen feministischen Manifeste.
Aber das Gegenteil ist der Fall. Die neuerliche Verlebendigung von Atwoods phantasiereicher, gelegentlich ironischer Kopfgeburt liegt in erster Linie an der Serie „The Handmaid’s Tale“, von der inzwischen drei Staffeln mit 36 Folgen vorliegen. Dem produzierenden Streaming-Dienst Hulu hat sie nicht nur den ersten „Emmy“ und „Golden Globe“ eingebracht, sondern einen Preisregen. Auch in diesem Jahr erhielt ihr Hauptautor Bruce Miller wieder den „Emmy“ als bester Drehbuchschreiber.
Viele halten „The Handmaid’s Tale“ für eine der besten Serien überhaupt. Es ist auf jeden Fall eine, von der man nicht allzu viel verraten sollte, denn das allmähliche Aufdecken der Lebensumstände in Gilead durch ihre Hauptfigur Desfred – grandios von Elisabeth Moss gespielt – gehört zu ihren überzeugenden Stärken. Margaret Atwood wurde gerade für die Fortsetzung der Geschichte, den Roman „The Testaments“ (Die Zeuginnen), mit dem britischen Booker-Preis ausgezeichnet. In der ersten Folge der Serie hat sie einen denkwürdigen Cameo-Auftritt.
In Deutschland war „Der Report der Magd“ in gut synchronisierter Fassung bislang beim Telekom-Ableger Magenta-TV zu sehen. Nun zeigt Tele 5 die ersten beiden Staffeln im frei empfangbaren Fernsehen. Zu sehen ist ein Horror, der über die vergangenen Jahre näher gerückt ist und vor der Haustür sich häuslich einzurichten scheint. Patriarchalische Theokratie, fundamentalistische Religionsinterpretation, sich verschärfende gesellschaftliche Spaltung, Aushöhlung der Bürgerrechte, Bekämpfung des freien Wortes, der Zusammenhang von Klimakatastrophe und verseuchungsbedingter Sterilität großer Teile der Menschheit (obwohl zurzeit eher Überbevölkerung ein Thema ist) scheinen weniger denn je bloßes Menetekel an der Wand.
Was aber die Serie genial macht, ist ihre ungewöhnlich zielsichere Spannungsdramaturgie. Wenn Mägde auf dem Heimweg vom klinisch aufgeräumten Supermarkt auf einer Bank neben baumelnden Erhängten (einer schwul, einer Katholik, einer Abtreibungshelfer) ungerührt über das Wetter plaudern; wenn sie bei sogenannten „Partizikutionen“ zur gezielten Aggressionsabfuhr Verurteilte tottreten dürfen, macht sie uns zu Augenzeugen. Wir haben zwei Augen, noch.
The Handmaid’s Tale beginnt heute bei Tele 5 um 22.05 Uhr. Der Sender zeigt die Serie in Doppelfolgen.