Krimiserie „Broadchurch“ : Mit diesem Verdacht kann niemand leben
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Ellie Miller (Olivia Colman) und Alec Hardy (David Tennant) ermitteln vor pittoresker Kulisse. Bild: Patrick Redmond
Ein Verbrechen auf dem Land verändert das Dasein aller: Die englische Serie „Broadchurch“ handelt auf meisterhafte Weise von der Enge und Weite eines Schauplatzes und schaut in die Seelen von Menschen in Not.
Sie können keine Krimis mehr sehen? Fünfundzwanzig in vierzehn Tagen allein bei den Öffentlich-Rechtlichen nach 20 Uhr - wir haben vom kommenden Montag an rückwärts gezählt - sind Ihnen „way too much“, wie Engländer sagen, überzuviel? Vor allem aber können Sie die elende Darstellung des Leids von Kindern oder Jugendlichen zu Unterhaltungszwecken nicht mehr ertragen, all die Missbrauchsfälle, Drogen- und Prostitutionsszenarien, Kinder als Entführte, Verprügelte, Vergewaltigte, Zeugen oder Täter? So geht es vielen. Selbst unter denen, die dem Genre des Kriminalfilms oder Thrillers gewogen sind, nimmt die Zahl derer zu, denen der billige Trick, die Wehrlosesten in Gefahr zu bringen oder zu opfern, um an den Nerven des Publikum zu zerren, immer mehr auf dieselben geht.
Und doch sendet das ZDF jetzt abermals - beispielsweise nach „Tod eines Mädchens“ vom Februar dieses Jahres - einen Kriminalfilm, der den gewaltsamen Tod eines Kindes in den Mittelpunkt stellt. Genauer: der ihn an den Anfang von acht Episoden stellt, die in der deutschen Übernahme aus dem Englischen zu vier Folgen zusammengezogen wurden. „Broadchurch“ war, 2013 ausgestrahlt vom britischen Sender ITV, dort ein Straßenräumer, und zwar ein umfassender: mehr als dreißig Prozent Einschaltquote, durchschnittlich mehr als neun Millionen Zuschauer pro Episode. Die Geschichte um die Erschütterung des titelgebenden Küstenorts im Süden Englands, deren Ausgang bis kurz vor Ende nicht einmal die direkt betroffenen Schauspieler kannten, ist dort inzwischen in einer zweiten Staffel fortgesetzt worden. Sie setzt mit dem Gerichtsprozess gegen den Tatverdächtigen ein, eine dritte Staffel ist angekündigt.
Gut verständlich, denn die erste Staffel von „Broadchurch“ ist ein Meisterwerk. Ästhetisch, visuell und musikalisch, schauspielerisch und erzählerisch. Ohne den Kriminalfall des am Strand tot aufgefundenen Elfjährigen je zu verlassen, sondern mit ungeheurer Ökonomie der Mittel, geht es hier eben nicht um die Nerven des Publikums angesichts von Kinderleid, sondern um die Schlüsselkraft, die ein unfassbarer Tod in Bezug auf alle von ihm Betroffenen entwickelt. Schon die erste Sequenz des Films, die vom Meer in die Stadt, dort zum Polizeiquartier, zur Kirche und zum Eigenheim der Eltern und dort ins eheliche Schlafzimmer führt, umreißt in einer Kameraführung, die dann den ganzen Film über durch Nähe zu den Schauspielern beeindruckt, die kontrastierenden Leitmotive: die Enge und die Weite des Schauplatzes, des Falles, der Seelen.
Plötzlich wird der Pfarrer zuständig
Genauso symbolisch, ohne aufdringlich zu sein, ist der erste frühmorgendliche Gang des noch ahnungslosen Vaters zur Arbeit, der fast alle Personen einführt, die von da an eine Rolle spielen, und zwar auch in Sekundenszenen, gleich, welche Rollen es sind. Wer aufpasst, kann sogar den Täter ahnen. Mitgeteilt wird, dass hier alle einander kennen und keiner den anderen und dass alles, was es gibt, hier in einer Miniaturform existiert, die nur in den ersten Minuten noch standhält: Polizisten, die einander Kumpel sind und jetzt merken, dass sie fast zwangsläufig Bekannte der Täter sind; eine Kirche, in die fast keiner geht und deren Pfarrer zuständig wird, weil es eigentlich keinen Trost gibt; die Lokalzeitung, die meist nicht viel zu berichten hat, aber jetzt Öffentlichkeit darstellt in einer Welt, die so klein ist, dass sie fast keine braucht; die lokalen Netzwerke der Freundschaft, Hilfe und Familiengründung, die nun alle jede Sekunde reißen können.