Fernsehserien : Etwas über uns
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Das Fernsehen ist voller Polizisten, Irrer und Verbrecher. Aber das wahre Drama fehlt: Warum wir dringend Familienserien brauchen.
Es gibt gerade nichts Langweiligeres im Fernsehen als amerikanische Serien. Es gibt gerade aber auch nichts, das glücklicher macht. „Homeland“, „Boardwalk Empire“, „Breaking Bad“ oder „House of Cards“, das sind zugleich Fortsetzungen und Verfeinerungen der Serien aus der Generation davor, von „The Wire“, den „Sopranos“ oder „West Wing“, die einen Sog auslösten, dem sich heute kaum einer entziehen kann. Keine Party, auf der nicht irgendjemand von seiner neuesten Entdeckung schwärmt, kennen Sie „The Shield“, müssen Sie sehen, wenn Sie „The Wire“ mochten! Oder die schönsten Szenen mit Walter oder Tony oder Brodie und Carrie nacherzählt.
Aber was da seit einigen Jahren geschieht, ist nicht nur eine Verfeinerung des erzählenden Fernsehens: Es ist auch eine Homogenisierung seiner Stoffe. Und da wird es dann eben langweilig. All diese Serien gruppieren sich mehr oder weniger um drei Konfliktherde – Kriminalität, Spionage, Politik. Aus „24“ führt ein Weg zu „Homeland“, aus „West Wing“ zu „House of Cards“, aus den „Sopranos“ zu „Boardwalk Empire“ (über die Abzweigung zur Geschichte) oder „Breaking Bad“ (das wäre dann die Abfahrt zur Psychose). Die neuen Serien steigern dabei, was die alten erfanden, nur ist das offenbar zum Wettbewerb geworden, und so gibt es für jede Serie, die glückt, ein Dutzend anderer, die es grotesk vermasseln und deswegen eingestellt werden: noch kaputtere Ermittler, noch abgefucktere Kriegsheimkehrer, von den Vampir-Serien, Zombie-Serien, Werwolf-Serien ganz zu schweigen, und auch von den Spurensicherern und Pathologen, mit jeder Saison kommen neue hinzu.
Wo ist der Nachfolger der „Drombuschs“?
Aber wo bleibt bei alledem die komplexe, clevere, kluge Familien-Serie? Wo bleibt, um in der Systematik zu bleiben, der Nachfolger von „Six Feet Under“? Da liegt ein riesiger Konfliktherd brach, aber offenbar traut sich niemand heran.
„Six Feet Under“ erzählte in fünf Staffeln die Geschichte der kalifornischen Familie Fisher am Anfang des 21. Jahrhunderts: Der Vater, ein Beerdigungsunternehmer, stirbt bei einem Unfall, sein Sohn Nate muss nun den Laden übernehmen, in dem dessen jüngerer Bruder David schon seit längerem arbeitet, pflichtbewusst und unglücklich. Die Mutter hat Angst vor der plötzlichen Freiheit, in die sie dann mit immer weiter geöffneten Armen hineinrennt. Ihr jüngstes Kind, Claire, ist ein großes Talent der Aufsässigkeit. Um die Fishers herum gruppieren sich die Partner der Familie und deren Familien, und eine Beerdigung pro Folge käme dann auch noch dazu, und das Ganze endet in einem Finale, bei dem Claire im Auto in die Zukunft der Serie aufbricht, die nicht mehr auserzählt wird: Das gehörte zu den poetischsten neun Minuten, die es im Fernsehen je gab.
Die Herausforderung aber, da weiterzumachen, hat bislang niemand angenommen. Man könnte übrigens genauso fragen: Wo ist der Nachfolger von den „Drombuschs“, die manche für ein Echtzeit-Experiment in Langweiligkeit hielten und andere für eine Offenbarung bundesrepublikanischer (okay, hessischer) Mentalitätsgeschichte. Mitte der neunziger Jahre gab es auch mal eine Vorabendserie namens „Aus heiterem Himmel“, da ging es um eine Patchwork-Familie, lange bevor es den Begriff überhaupt gab, ein alleinerziehender Vater, der mit drei Kindern und seinem besten Freund in einem Haus am Starnberger See lebt, und schon wieder passiert irgendwas.
Verbrechen als Brandbeschleuniger
Aber wenn es heute alleinerziehende Väter im deutschen Vorabend gibt, dann sind es zum Beispiel verwitwete Pfarrer wie beim „Herzensbrecher“ im ZDF: ein vierzigjähriges Supermodel, das vier Supermodel-Jungs hat und dessen Konflikte supermodelliert sind, eine Folge Theodizee, in der nächsten ist dann der Islam dran, man glaubt kein Wort. „Türkisch für Anfänger“ wirkt inzwischen wie ein „Tatortreiniger“ des Familienfernsehens, ein schöner, unwahrscheinlicher Zufall, ein Solitär.