„Queer Eye“ auf Netflix : Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen
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Beste Laune bei den „Fab Five“. Bild: Courtesy of Netflix
Her mit den Taschentüchern: Die zweite Staffel von „Queer Eye“ ist da. Darin kümmern sich die „Fab Five“ erstmals um eine Frau – und es geht wie immer um sehr viel mehr als Style.
Eigentlich beruht das Konzept dieser Sendung auf einem altbackenen Klischee: Heterosexuelle Männer verstehen nichts von Klamotten, Körperpflege, Kochen und Einrichtung, aber homosexuelle, ja, die haben da ein Händchen für! Das lässt sich tausendfach widerlegen, aber natürlich finden sich jede Menge Menschen, auf die diese Zuschreibungen zutreffen. So begann 2003 die Show „Queer Eye for the Straight Guy“, in der fünf Schwule in jeder Episode einem Hetero halfen, seine Wohnung, seinen Style und sein Leben in den Griff zu bekommen. Die Neuauflage, die nur „Queer Eye“ heißt, startete im Februar 2018 bei Netflix – mit solch großem Erfolg, dass die zweite Staffel sofort im Anschluss gedreht und jetzt publiziert wurde. Und es geht wieder mächtig ans Herz.
Wer „Queer Eye“ nie gesehen hat und sich darunter einen Haufen Männer vorstellt, die kreischend ausgebeulte Hosen aussortieren, liegt nicht ganz daneben – und doch vollkommen falsch. Es gibt diese Szenen, in denen die „Fab Five“, lauter gutaussehende, schlaue, witzige und ausgesprochen sympathische Männer, den Kleiderschrank ihres aktuellen Schützlings auseinandernehmen und dabei von einem Entsetzen ins andere fallen. Aber eigentlich geht es nicht um Style in dieser Sendung, es geht um das ganze Leben. Es geht um den Mut, nicht nur die hässlichen Hosen hinter sich zu lassen, sondern auch die selbstgewählte Isolation vor den Mitmenschen. Es geht um Selbstvertrauen, es geht um Selbstachtung, und es geht darum, dem bei vielen der gezeigten Männer festgefahrenen Leben eine positive Wendung zu geben.
Jeder kennt sich mit Umbrüchen im Leben aus
Die „Fab Five“ könnten für den Job genauso gut hetero sein, aber dass sie es nicht sind, gibt der Sache einen besonderen Twist: Jeder von ihnen kennt sich mit Umbrüchen im Leben aus. Dass sie ihre Geschichten mit den Schützlingen teilen, macht die Sendung oft besonders berührend. Tan France etwa, der aus Pakistan stammt und sich mit einem schüchternen Inder beim Durchsehen des Kleiderschranks über die sehr ähnlichen Erwartungen ihrer Mütter unterhält (schnell heiraten, schnell Kinder, Karriere, weitere Kinder). Karamo Brown, der beim Umstyling eines Polizisten mit diesem darüber spricht, wie groß seine Angst als Schwarzer vor der Polizei inzwischen ist. Und Bobby Berk, der als Junge jeden Tag in der Kirche war und dessen Gemeinde sich nach seinem Coming Out von ihm abwandte. Für ihn ist die erste Folge der neuen Staffel wie eine Rückkehr in sein Dorf: Die fünf fahren in den 89-Seelen-Ort Gay (der in Georgia liegt und wirklich so heißt) und kümmern sich zum ersten Mal um eine Frau: Tammy, die in der Kirche engagiert ist und nicht ihr eigenes Haus neu einrichten lassen will, sondern das neue Gemeindezentrum.
Hier fällt es doppelt auf, warum es richtig ist, dass die Sendung nur noch „Queer Eye“ heißt. Nicht nur weil die Beschränkung auf Männer unnötig ist, sondern weil der Blick, also die Perspektive, entscheidend ist. Der Begriff „queer“ bezeichnet ja nicht nur Homosexualität, sondern ganz allgemein Andersartigkeit. Die „Fab Five“ werden nicht zu Großstädtern geschickt, das sind sie ja schon selbst, sondern meist aufs Land. Sie kümmern sich um Trump-Anhänger genau wie um erzkatholische Familien, und dabei bauen sie nicht nur ihre eigenen Vorbehalte ab, sondern auch die des Umfelds ihrer Schützlinge und die der Zuschauer. Diese Show zeigt ganz konkret und äußerst unterhaltsam, dass die instinktive Abwehr von Menschen, die anders sind als man selbst, unnötig ist. Weil es trotzdem möglich ist, bestens miteinander auszukommen.
Natürlich ist nicht jede Folge gesellschaftspolitisch und tiefsinnig. In der zweiten Staffel geht es auch einfach mal um einen Mann, der es nicht hinbekommt, seiner Freundin einen Heiratsantrag zu machen – nach sage und schreibe drei Jahren, was im verlobungswütigen Amerika ein unglaublicher Vorgang ist. Rasiert hat er sich auch schon länger nicht mehr, außerdem lebt das Paar in alten, abgenutzten Möbeln, die aus der ersten Ehe der Freundin stammen. Es ist ein Szenario, in dem man tatsächlich den Mann beiseitenehmen möchte und sagen: Ihr wirkt ja beide sehr verliebt, aber deine Frau zieht sich doch auch hübsch an und sähe das gern bei dir, gib dir endlich ein bisschen Mühe. Und kauf ihr einen Ring und frag sie einfach!
Genau diese Ansprache übernehmen die „Fab Five“. Sie sind eine Woche lang genau die Freunde, die der Mann braucht. Am Ende macht er seiner Freundin einen Antrag, da fließen die Tränen: bei der Freundin, bei den „Fab Five“ und wahrscheinlich bei den meisten Zuschauern. Es ist Feelgood-Fernsehen vom Feinsten. Das braucht doch jeder mal.