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Die Serie „Euphoria“ auf Sky : Was hat man mit Siebzehn für Träume

  • -Aktualisiert am

Noch nicht ganz durch: Rue (Zendaya Coleman) wird digital erwachsen. Bild: HBO

Die spektakuläre Serie „Euphoria“ erzählt vom Erwachsenwerden. Das ist nicht nur Highschool-Sexpressionismus, sondern ein waschechtes Jugend-Drama.

          3 Min.

          Jede Generation hat ihre ultimative Coming-of-Age-Verfilmung. Was in den Achtzigern mit „La Boum“ und „Christiane F.“ begann, zwei Enden desselben Spektrums, das sich auf den glorios übermutberauschten und abgrundtief verunsichernden Begriff „Jugend“ bringen lässt und seit „Kids“ (1995) in der Regel als ambivalentes Doppel dargestellt wird, das setzte sich fort in unendlich vielen und manchmal wirklich guten Serien wie „Willkommen im Leben“, „Dawson’s Creek“, „Degrassi Junior High“, „Buffy“, „Skins“, „13 Reasons Why“ oder „Riverdale“.

          Mit dem überragend gespielten, phänomenal stilvollen „Euphoria“ kommt das Teenage-Drama wuchtig in der Gegenwart an, in einem Social-Media-Narzissmus, der auch das Erwachsenwerden radikalisiert hat. Sam Levinsons HBO-Serie ist ein achtstündiger Jugendrausch und Angsttraum zugleich, das perfekte Highschool-Drama 3.0, obwohl in dieser Schule (des Lebens) nie gelernt, sondern nur gechattet, gelästert, gelitten und endlos gefeiert wird. Die faszinierende Optik erinnert an Werbeclips und Musikvideos. Von Donny Hathaway über Bronski Beat bis zu K-Pop und knackigem Rap à la Lizzo hat Koproduzent und Rapper Drake einen gefühlsstarken, zeitlosen Soundtrack zusammengestellt, in dem der so coole wie melancholische britische Sänger Labrinth eine Führungsrolle einnimmt. Unter dieser betörend quecksilbrigen Oberfläche aber findet sich eine psychologisch kluge Tiefenanalyse pubertärer Einsamkeit und Rebellion im universal verschalteten Digitalzeitalter. Die hier gezeigte, noch nicht wieder politisierte Generation ist über ihre eigenen Medien verwundbar bis ins Mark.

          Depressionen, Drogenkonsum und Sex in allen Spielarten

          Dass eine Serie noch einmal ob ihrer Explizitheit ins Gerede kommen würde, war kaum abzusehen, aber „Euphoria“ hat auch das spielend geschafft durch die schillernde Darstellung von Depressionen, Drogenkonsum und Sex in allen Spielarten: teenagergemäß sehr viel frustrierender, trauriger Sex, der Pornofilmen nachgespielt ist. Eigenzweck ist dies jedoch nicht. Die knallbunte Dauerpräsenz von Alkohol, Brüsten und Penissen zwischen fast unwirklich schönen, glitzernd geschminkten, tränenverschmierten Gesichtern und Körpern, diese Hysterie des Realen, adaptiert vielmehr geschickt die glänzende Ästhetik der sich als Mitteilungen aus einem erfüllten Leben gebenden, aber bloß sorgsam inszenierten Instagram-Welt, die in Stories (der Verführung) zerfällt.

          Der Pilot der Serie setzt den Ton. So fatalistisch wie lakonisch erzählt die sensible siebzehnjährige Rue (der ehemalige Disney-Kinderstar Zendaya Coleman), trotz ihrer Probleme die ‚erwachsenste‘ aller Figuren, wie sie Ängste mit Drogen zu betäuben gelernt hat: „Mit der Zeit war das alles, was ich wollte, diese zwei Sekunden absolutes Nichts.“ Rue ist ein Mittelstandskind mit liebevoll besorgter Mutter (Nika King) und herziger Schwester (Storm Reid). Doch der frühe Tod des Vaters hat sie aus der Bahn geworfen und zu dessen Schmerzmitteln greifen lassen. Heute erhält sie ihre Drogen von dem ziemlich verantwortungsbewusst gezeichneten Dealer Fezco (Angus Cloud), der zugleich ihr bester männlicher Freund ist. Zu Beginn der Serie kehrt Rue von einer Entziehung zurück: „Ich hatte nicht die Absicht, clean zu bleiben. Und dann zog Jules in die Stadt.“

          Jules, bisexuell, transgender, sympathisch verrückt und radikal selbstbestimmt – sie schläft mit älteren Männern, was sich zu einem der Haupthandlungsstränge auswächst, weil sich „Dominant Daddy“ ausgerechnet als Vater des egomanen Schulplayboys entpuppt –, Jules also, der die großartige Transgender-Aktivistin Hunter Schafer eine an die junge Tilda Swinton gemahnende Aura verliehen hat, ist die zweite Hauptprotagonistin. Ihre komplizierte Liebesbeziehung zu Rue wird für diese zur Offenbarung und zum Fluch, weil sie mit Jules’ Freiheitsdrang nicht konkurrieren will.

          Die Neue an der Schule, das ist nicht die einzige Standardfigur aus dem Kosmos der Highschool-Filme. Weiter lernen wir Nate Jacobs (Jacob Elordi) kennen, den Mädchenschwarm aus dem Footballteam mit Aggressionsproblemen, seine wilde On-Off-Freundin Maddy (Alexa Demie), eine sich in Online-Portalen als Lederfetisch-Femme-fatale emanzipierende füllige Mitschülerin (Barbie Ferreira), den sexuell schüchternen Sportler Chris (Algee Smith), der mit der promisken Vergangenheit seiner hübschen Freundin Cassie (Sydney Sweeney) Probleme hat, und einige typische Jugendliche mehr.

          Obwohl wenig passiert – so wenig wie ja tatsächlich passiert mit siebzehn Jahren – und die einzige auf Spannung zielende Handlung rund um Nate arg unglaubwürdig ist (die Hoffnung, es könne ein Fiebertraum Rues sein, zerschlägt sich), wirkt die neben visueller Opulenz mit perfektem Timing, gut ausgeleuchteten Figuren, außergewöhnlicher Spielfreude und narrativ interessanten Rückblenden inszenierte Serie jederzeit ergreifend und unverbraucht. Auch, weil sie über die Drogenfrage hinaus auf traumwandlerisch authentische Weise die teils alten, teils neuen Themen emotional durchexerziert, die für eine heutige Schülergeneration in ihrem letzten Sommer vor dem Erwachsenenleben im Vordergrund stehen: Verantwortung, Liebe, Body Positivity versus Sexpressionismus, Verlustängste, Rollenbilder, Mobbing, Gewalt, Leiden an Privilegien, geschlechtliche Identität, Lebenssinn. Jede aufgesetzte Moral wird dabei zurückgewiesen: „Es ist 2019. Nacktfotos sind die Währung für Liebe, hört auf mit dem Shaming.“ Das alles endet, durchaus euphorisch, im dröhnenden Zusammenbruch, der wohl nur deshalb nicht als endgültig gelten darf, weil eine Fortsetzung angekündigt ist.

          Euphoria läuft von diesem Mittwoch an mittwochs um 20.15 Uhr in Doppelfolgen auf Sky Atlantic.

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