ARD-Sender zeigen „Holocaust“ : Die Erschütterung
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Deportation ins Konzentrationslager: Szene aus „Holocaust“ mit Fritz Weaver, Meryl Streep, Blanche Baker, Rosemary Harris und Joseph Bottoms (von links). Bild: WDR/DEGETO
Vor vierzig Jahren zeigten die ARD-Sender die amerikanische Serie „Holocaust“. Jetzt wiederholen sie NDR, SWR und WDR – und erklären, welche Bedeutung sich mit diesem Fernsehstück verbindet.
Es gibt eine Zeit vor und nach der amerikanischen Fernsehserie „Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiss“. Die Filmerzählung der deutsch-jüdischen Familie Weiss und der deutschen nationalsozialistischen Familie Dorf befreite 1979 die junge Bundesrepublik aus einer kollektiven Amnesie. Und sie prägte einen in Deutschland bis dahin noch unbekannten Begriff für die Massenvernichtung der Juden in der Zeit des NS-Regimes: Holocaust. Damals strahlten die dafür eigens zusammengeschalteten dritten Programme der ARD die vier Folgen aus. Von Montag an werden sie dies abermals tun. Und sie fügen der Serie eine neue Dokumentation hinzu – über die Entstehung und Wirkungsgeschichte von „Holocaust“.
In der Dokumentation „Wie ,Holocaust‘ ins Fernsehen kam“ erzählt die Regisseurin Alice Agneskirchner die Geschichte der seinerzeit umstrittenen Serie, indem sie einzelne Filmsequenzen und Interviews mit damals Beteiligten zeigt, die nun als Zeitzeugen vorgestellt werden. Da fallen sich etwa die Schauspielerin Rosemary Harris, die im Film die Hauptrolle der Berta Weiss spielte, und Blanche Baker – ihre damalige Filmtochter Anna – bei einem Wiedersehen nach vierzig Jahren in die Arme. Beide spielten an der Seite von James Woods und Meryl Streep, denen „Holocaust“ zum internationalen Durchbruch verhalf.
Die Schauspieler hatten ihre Schwierigkeiten mit der Serie. Michael Moriarty brauchte sogar einen Psychiater, um die Rolle des Juristen Erik Dorf ertragen zu können. Dorf steigt in der Serie zum persönlichen Referenten des Leiters des Reichssicherheitshauptamts, Reinhard Heydrich, auf, der den Holocaust maßgeblich mitorganisierte. „Um es gut zu machen, muss man sich öffnen, und wenn man die furchtbarsten Dinge, die es gibt, in sich hinein lässt, leben sie für immer in der eigenen Seele weiter“, sagt Moriarty, während er am Stock durch das Konzentrationslager Mauthausen in Österreich geht. Hier wurde auch die Szene in der Gaskammer gedreht, die Regisseur Marvin J. Chomsky „so schnell wie möglich im Kasten haben“ wollte, wie er berichtet. „Nur so war ich imstande, die Menschen in die Gaskammer zu schicken.“
Nachdem der Sender NBC die Serie 1978 in den Vereinigten Staaten erstmals gezeigt hatte, sollte das Urteil von Sabina Lietzmann, die damals für diese Zeitung aus New York berichtete, die öffentliche Meinung hierzulande prägen. Man habe, schrieb sie am 20. April 1978, ein Drama erfunden, „das dem Seifenoperrezept gefährlich nahe kommt“. Sie zitierte auch den Schriftsteller und Holocaust-Überlebenden Elie Wiesel, der zuvor in der „New York Times“ geäußert hatte, er sei „schockiert von der Verwandlung eines ontologischen Ereignisses in eine Seifen-Oper“.
In der Dokumentation hält der frühere WDR-Fernsehspielchef und Produzent Günter Rohrbach den Artikel Lietzmanns in die Kamera. An den, sagt er, könne er sich noch erinnern. Unerwähnt bleibt, dass Sabina Lietzmann im September 1978 ihre Meinung revidierte und schrieb: „Noch immer erfüllt uns das damals beschriebene Unbehagen angesichts der Trivialisierung des Leidens, und noch immer wehrt sich ein eingeborener kritischer Impuls dagegen, ,history‘ zu ,story‘ zu verwässern.“ Inzwischen halte sie es aber für möglich, das „Ungeheure im Privaten zu erfassen“. Sie sei überzeugt, dass sich durch die Serie viele Amerikaner mit dem Holocaust auseinandergesetzt hätten.
Es war Günter Rohrbach, der die Serie nach Deutschland holte – auch gegen internen Widerstand. So einigte man sich auf den Kompromiss, sie nicht im ersten Programm der ARD, sondern gleichzeitig in den dritten Programmen zu zeigen; zum Nachteil vieler Zuschauer in der DDR, die meist nur das Erste und das ZDF empfangen konnten. Die Reaktionen nach der Ausstrahlung im Januar 1979 waren überwältigend. In seiner Nachlese bezeichnete der damalige Herausgeber dieser Zeitung, Joachim Fest, die Ausstrahlung der Serie in Deutschland als „bedeutendes Fernsehereignis“. Das von Historikern und Publizisten seit Jahren beklagte Desinteresse der Öffentlichkeit an der Vergangenheit habe sich hier entpuppt als das, was es in Wirklichkeit sei: „das Desinteresse von Historikern und Publizisten an der Öffentlichkeit“.
Allein nach der Ausstrahlung der ersten Folge riefen damals laut Deutscher Presse-Agentur beim WDR 4400 Zuschauer an. Sie wollten wissen, wie man den Enkeln erklären könne, dass man nichts gegen die Vernichtung der Juden unternommen habe. Eine Minderheit beschwerte sich über die „Nestbeschmutzung“. Der allgemeine Schock galt vielen als Spiegel jahrelanger Verdrängung. Eine Katharsis hatte eingesetzt. Bei der Ausstrahlung der vier Folgen wurden Einschaltquoten von weit mehr als dreißig Prozent erreicht. Die Serie war so wirkungsmächtig, dass Nachgeborene eine Bildungslücke riskieren, wenn sie sich diese Dokumentation entgehen lassen. Die Wirkung der Serie „Holocaust“ reicht bis heute.
NDR und WDR beginnen mit der Ausstrahlung der vierteiligen Serie Holocaust am Montag, 7. Januar, um 22 Uhr, das SWR-Fernsehen am Mittwoch, 9. Januar, um 22 Uhr. Die Folgen zwei bis vier sind am 8. Januar, 22.10 Uhr im WDR, 14. Januar (NDR und WDR), 15. Januar (WDR), 16., 21., 23., 28. und 30. Januar (NDR und SWR) zu sehen. Die Dokumentation Wie „Holocaust“ ins Fernsehen kam läuft am 14. Januar, 22.10 Uhr, beim WDR, am 16. Januar um 22 Uhr beim SWR und 23.45 Uhr beim NDR.