Serie „Deutschland 83“ : Der Spion, der in den Westen kam
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Noch schnell ein Foto fürs Familienalbum der Stasi: DDR-Spion Martin Rauch alias Oberleutnant Moritz Stamm (Jonas Nay) bei der Arbeit. Bild: RTL / Nik Konietzny
RTL hat eine Serie, die als Geheimtipp des Herbstes gilt, zuerst in Amerika gezeigt. Die Geschichte eines jungen Stasi-Spions kam dort bestens an. Doch wie erklärt sich der Erfolg von „Deutschland 83“?
Es passiert nicht alle Tage, dass eine Serie auf der amerikanischen Rezensions-Website Rotten Tomatoes das Etikett „100 Prozent frisch“ bekommt. „Homeland“ gelang das in der ersten Staffel, „Breaking Bad“ in der zweiten. Jetzt hat sich eine deutsche Produktion eingereiht: „Deutschland 83“. Der Achtteiler, der auf der Berlinale lief, handelt von dem jungen DDR-Grenzsoldaten Martin Rauch (Jonas Nay), der von seiner Tante Lenora (Maria Schrader), Agentin bei der Stasi, unter Druck gesetzt wird, als Adjutant des Bundeswehrgenerals Edel (Ulrich Noethen) die Nato auszuspionieren. Die Stasi glaubt, der Westen plane einen atomaren Erstschlag. Als Spion wider Willen macht sich Martin auf den Weg.
Das Drehbuch zu „Deutschland 83“ hat die Amerikanerin Anna Winger geschrieben, die seit dreizehn Jahren in Berlin und Leipzig lebt. Produziert wird die Serie von ihrem Mann, dem „Soko Leipzig“-Macher Jörg Winger, und von Nico Hofmann für RTL. Im Juni und Juli lief sie im Original mit Untertiteln auf dem amerikanischen Sundance Channel, wo sie derart großen Zuspruch fand, dass das Magazin „Entertainment Weekly“ sie auf ihre „Must-List“ hob. „Ein nostalgischer Spionage-Thriller, der als fesselnde - und überraschend unterhaltsame - Geschichte übers Erwachsenwerden daherkommt“, schrieb „Time“. „Erfrischend“, urteilte die „New York Times“. Der „San Francisco Chronicle“ sah „ein zeitloses menschliches Drama, bei dem nichts in der Übersetzung verlorengeht“.
Christian Vesper, der Serien-Programmchef des Sundance Channel, war fasziniert, als Anna Winger ihm ihre Idee im Sommer 2014 vorstellte. „Hier war eine smarte Serie, die mit ein paar ziemlich schwierigen Sachverhalten aufwartet“, sagt Vesper im Gespräch mit dieser Zeitung. „Aber sie war nie zu vergeistigt - keine undurchdringliche, deutschsprachige Hausarbeit, sondern eine wunderbar zugängliche, unterhaltsame und spannende Abenteuergeschichte.“ Vesper sagt, ihm habe die Serie einen neuen Blick auf die Ostdeutschen während des Kalten Krieges gewährt. „Als Amerikaner, der wie ich in den siebziger und achtziger Jahren aufwuchs, hatte man irgendwie den Eindruck, dass alle DDR-Bürger deprimiert und wütend seien, dass sie ihre Regierung und ihr Leben hassten. Aber hier bekommt man einen viel nuancierteren Einblick in diese Ära, und man merkt: Das stimmt so nicht.“
Amerikaner sind da nicht so
Ostdeutsche Figuren existierten im amerikanischen Kino und Fernsehen so gut wie nicht, und Deutsche kamen lange nur als Bösewichte und Nazis vor. Anna Winger erinnert sich, dass es, als sie ihren Mann kurz nach dem Mauerfall kennenlernte, „zwar irgendwie exotisch war, einen deutschen Freund zu haben, aber nicht unbedingt in einem guten Sinn. Ich habe eine Menge Nazi-Witze gehört“. Inzwischen habe sich die amerikanische Wahrnehmung der Deutschen gewandelt. „Ich sage mal halb im Spaß, aber auch halb im Ernst: Vielleicht geht das auf die deutsche Fußball-Weltmeisterschaft und Jürgen Klinsmann als Trainer der amerikanischen Nationalmannschaft zurück. Und auch Berlin als eine so aufregende Stadt hat wohl zu einer neuen Wahrnehmung beigetragen. Das hat eine positive Einstellung geschaffen.“
Der Sundance-Mann Vesper hatte keine Sorge, seinem Publikum einen Helden aus dem real existierenden Sozialismus zuzumuten. Amerikaner seien bei solchen Themen nicht so empfindlich, „wie die Europäer das gern denken“, sagt er. „Sie sind durchaus in der Lage, dies als ein menschliches Drama wertzuschätzen.“
Anna Winger, die „Deutschland 83“ in erster Linie für das deutsche Publikum schrieb, arbeitete sehr sorgfältig mit Vesper an den Untertiteln für die amerikanische Ausstrahlung. So sei etwa Udo Lindenberg, dessen Auftritt im Palast der Republik in der Serie vorkommt, in Amerika kein Begriff. Die Zuordnung von Clips aus der „Aktuellen Kamera“ und der „Tagesschau“ war für amerikanische Zuschauer auch nicht ohne.
Aber „Deutschland 83“ fiel auch auf fruchtbaren Boden: Seit Anfang 2013 läuft in den Vereinigten Staaten auf dem Kabelsender FX die Spionageserie „The Americans“, die von zwei KGB-Agenten handelt, die im Kalten Krieg als amerikanisches Ehepaar mit zwei ahnungslosen Kindern in einer Vorstadt wohnen. Die im April zu Ende gegangene dritte Staffel schloss mit der Rede Ronald Reagans vom 8. März 1983 über das „Reich des Bösen“, mit der „Deutschland 83“ ansetzt.
Ob weitere deutsche Projekte auch in Amerika Zuspruch finden, hängt davon ab, ob die Macher auf die Qualität ihres Projekts vertrauen und den Mut haben, den RTL und die Produzenten von „Deutschland 83“ besaßen, als sie beschlossen, die Serie vorab in Übersee zu zeigen. Angesichts der vielen neuen Plattformen sei eine Internationalisierung des Produktionsmarkts unvermeidlich, sagt der Sundance Serienchef Vesper. Entscheidend sei nicht die Herkunft, sondern die Güte einer Geschichte. „Es gibt viel gutes Programm, und natürlich möchte jeder das nächste große Ding auf seinem Sender haben.“ In dieser Hinsicht habe „Deutschland 83“ ein Zeichen gesetzt.