Schreibende Software : Eine Frage der Datenbank
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Werden auch Journalisten bald eine solche Haltung einnehmen? Chinesischer Investor in Wuhan Bild: REUTERS
Unsere Welt wird von Algorithmen bestimmt. Jetzt sollen sie auch darüber schreiben: Eine Firma in Chicago entwirft den digitalen Journalisten.
Algorithmen können uns Bücher nennen, die wir gern lesen, Ferienorte, an denen wir gern Urlaub machen, oder Menschen, in die wir uns verlieben könnten. Sie handeln mit unseren Aktien und bestimmen die Weltwirtschaft. Kaum verwunderlich, dass sie auch darüber schreiben können sollen. Doch sie sollen auch Zeitungsartikel produzieren, die wir gern lesen und nicht einmal mehr von den Texten unterscheiden können, die Menschen geschrieben haben. Daran arbeitet ein Unternehmen in Chicago.
„Narrative Science“, vor zwei Jahren gegründet, bewirbt die Einsatzmöglichkeiten seiner Software: Für Sportmeldungen, für Finanzberichte und für die Wahlberichterstattung könne man ihr Programm zum Beispiel einsetzen, für jene journalistischen Felder also, in denen es um den Abgleich von Daten geht, um Spielergebnisse und statistische Werte einzelner Sportler, um Kursentwicklungen und Kennzahlen, um Stimmverteilungen und Wählerwanderungen. Eine gut gepflegte Datenbank ist alles, was das Programm noch braucht, um daraus einen Text zu generieren. Zu „komponieren“, wenn man der Wortwahl von Kris Hammond folgt. Der Professor für Informatik und Journalismus an der Northwestern University ist technischer Leiter von Narrative Science. Das Programm soll nicht nur vom 140-Zeichen-Tweet bis zum längeren Artikel verschiedene journalistische Formate erzeugen, sondern auch im Tonfall, in der Stimmlage auf die Anforderungen der einzelnen Kunden abgestimmt werden können.
Von Algorithmen für Algorithmen
Maschinell erstellte Artikel sind ein Massengeschäft, das sich vor allem im Internet betreiben lässt: Es gibt den Betreibern von Online-Auftritten die Möglichkeit, ohne personellen Aufwand auch jene Bereiche umfassend abzudecken, die für die redaktionelle Berücksichtigung zu klein oder für den Fokus des Auftritts zu unbedeutend wären. Wenn die Aufbereitung solcher Inhalte gut auf die Suchkriterien von Google abgestimmt ist, spielt nicht einmal die Plazierung der Artikel im Auftritt mehr eine große Rolle: Sie werden von außen gefunden, das zählt. Von Lesern, die sich bereits auf der Seite aufhalten, werden sie oft nicht einmal gesucht.
Das „Big Ten Network“, ein ebenfalls in Chicago ansässiger College-Sport-Sender, nutzt die Software von Narrative Science, um kurze Berichte über kleinere Ereignisse rasch nach dem Spiel oder Wettkampf auf seiner Internetseite veröffentlichen zu können. Michael Calderon, Vizepräsident für digitale und interaktive Medien beim Big Ten Network, schilderte in der „New York Times“ den Effekt, dass der Online-Auftritt seines Senders dank der vielen aktuellen Artikel zu populären Themen wie Football oder Basketball im Suchmaschinenranking gestiegen sei. Hier arbeiten Algorithmen Hand in Hand. Das Wirtschaftsmagazin „Forbes“ publiziert Ausblicke auf Unternehmenszahlen, von Narrative Science erstellt, seit Mitte Oktober in einem eigens gekennzeichneten Blog. Hanley Wood, ein auf das Immobilien- und Baugewerbe spezialisierter Verlag, der zu JP Morgan gehört, nutzt seit August die Software, um Monatsberichte für Hunderte einzelner Wohnbaumärkte zu erstellen.
Natürlich wird die Kundschaft bei Narrative Science diskret behandelt. Und natürlich setzen die Interessenten das Programm, nach langwieriger Feinabstimmung auf die eigenen Bedürfnisse, vorerst nur in Nischen ein. Aber das Interesse der großen Häuser besteht. Und das Interesse der Kapitalgeber: Sechs Millionen Dollar hat die Beteiligungsgesellschaft Battery Ventures im vergangenen Jahr für Narrative Science zusammengetragen.
Die Sorge, künftig könnte die Arbeit von Journalisten durch Maschinen übernommen werden, möchte Narrative Science zerstreuen: Das Programm übernehme entweder zusätzliche Aufgaben oder jenes lästige Klein-Klein, das Journalisten von ihrer eigentlichen Arbeit abhalte. Und doch erwächst aus der Software ein ernsthafter Konkurrent: In fünf Jahren, das hat Kris Hammond im vergangenen September der „New York Times“ versprochen, werde ein Computerprogramm den Pulitzer-Preis gewinnen. „Und ich will verdammt sein, wenn es nicht unseres ist.“ Das wäre gerade einmal zwanzig Jahre nachdem ein Schachcomputer erstmals gegen einen amtierenden Weltmeister gewonnen hat.