https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/russische-besatzer-verurteilen-krim-journalistin-zu-haft-18574259.html

Journalistin auf der Krim : Verschleppt, gefoltert, verurteilt

Verurteilt zu sieben Jahren Gefängnis: Irina Danilowitsch. Bild: Reporter ohne Grenzen

Die russischen Besatzer haben gegen die Bürgerjournalistin Irina Danilowitsch auf der Krim sieben Jahren Haft verhängt. Der Geheimdienst FSB hatte sie verschleppt und, wie sie sagt, schwer misshandelt. Reporter ohne Grenzen fordert ihre sofortige Freilassung.

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          Wer sich ein Bild davon machen will, wie es den Menschen auf der von den Russen 2014 besetzten ukrainischen Halbinsel Krim geht, der sollte auf das Schicksal der Bürgerjournalistin Irina Danilowitsch schauen.

          Michael Hanfeld
          verantwortlicher Redakteur für Feuilleton Online und „Medien“.

          Hauptberuflich arbeitete sie als Krankenschwester in der Stadt Koktebel. Als Bürgerjournalistin berichtete sie, wie die Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) schreibt, über Missstände im Gesundheits­wesen auf der von Russland annektierten Krim. Ihre Artikel erschienen auf der ukrainischen Nachrichtenwebseite Injir-Media, auf dem On­lineportal Krym.Realii, das der Sender Radio Free Europe / Radio Liberty fi­nanziert, und auf ihrem eigenen You­tube-Kanal.

          Am 29. April des vergangenen Jahres wurde Irina Danilowitsch in ihrem Wohnort Wladislawowka vom russischen Inlandsgeheimdienst FSB entführt. Im Keller der FSB-Zentrale in Simferopol wurde sie festgehalten und nach eigenen Angaben gefoltert. Am 28. Dezember wurde sie von ei­nem von den russischen Besatzungsbehörden eingesetzten Gericht in der Hafenstadt Feodossija zu sieben Jahren Haft und einer Geldstrafe von 650 Euro verurteilt. Sie habe an­geblich Sprengstoff besessen.

          „Mit diesem drakonischen Urteil soll eine mutige Journalistin zum Schweigen gebracht werden. Und die letzten unabhängigen Medienschaffenden auf der Krim sollen eingeschüchtert werden“, sagte Christian Mihr, der Geschäftsführer von Re­porter ohne Grenzen in Deutschland. Die Anschuldigungen entbehrten jeglicher Grundlage. „Wir fordern Irina Danilowitschs Freilassung.“

          Folter im Keller des FSB

          Nachdem sie verschleppt worden war, wurde ihr Haus durchsucht, ihr Handy und ihr Laptop wurden be­schlagnahmt. Ein russischer Ge­heimdienstler teilte ihrem Vater, wie Reporter ohne Grenzen berichtet, mit, sie werde verdächtigt, für den ukrainischen Inlandsgeheimdienst SBU zu arbeiten. Wo man Irina Da­nilowitsch festhielt, war weder für ihre Familie und Freunde noch für ihren Anwalt zu ermitteln. Im FSB-Keller in Simferopol wurde sie nach eigener Darstellung geschlagen, ge­würgt, an einen Lügendetektor angeschlossen, mit dem Tod bedroht und aufgefordert, andere zu denunzieren, insbesondere Journalisten und Aktivisten der Krimtataren. Später, so der Bericht von Reporter ohne Grenzen, folgte die Beschuldigung, sie habe „eine Bombe aus 200 Gramm Sprengstoff und den Na­deln medizinischer Spritzen gebaut“ und diesen Sprengsatz in einem Brillenetui versteckt. Den Sprengstoff, sagt Irina Danilowitsch, habe ihr der FSB untergeschoben, nachdem sie den Verdacht zurückgewiesen habe, sie arbeite für den ukrainischen Ge­heimdienst SBU.

          In der Haft bekam Irina Danilowitsch eine Mittelohrentzündung. Bei der Gerichtsverhandlung habe sie nicht hören oder verstehen können, was im Saal vor sich ging. Medizinische Hilfe wurde ihr verweigert, eine Prozessbeobachterin nahm am letzten Tag des Prozesses wahr, dass Irina Danilowitsch Koordinationsstörungen hatte. Die Verhandlung wurde nur kurz unterbrochen.

          „Das totalitäre Regime braucht keine Menschen, die offen die Wahrheit sagen“, sagte Irina Danilowitsch nach Angaben von Reporter ohne Grenzen in ihrem Schlusswort vor Ge­richt. Sie habe an Schicksal von mehr als 20 Krimtataren erinnert, die unter der russischen Besetzung spurlos verschwunden seien.

          Für sieben Jahre muss die Bürgerjournalistin nun in Haft, Ermittlungen wegen angeblichen Staatsverrats liefen gegen Irina Danilowitsch weiterhin, so Reporter ohne Grenzen.

          Unabhängigen Journalismus auf der Krim hätten die russischen Be­satzer „praktisch vernichtet“. Alle krimtatarischen Medien hätten die Halbinsel verlassen müssen, von ehe­mals 3000 Medien dürften unter der Besetzung nur noch 232 arbeiten. Bürgerjournalisten riskierten Verfolgung und Haft. Irina Danilowitsch sei eine von insgesamt neun ukrainischen Medienschaffenden von der Krim, die in russischen Ge­fängnissen säßen. Im September des vergangenen Jahres hat Reporter oh­ne Grenzen beim Internationalen Strafgerichtshof und bei der Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine Be­­schwerde wegen der willkürlichen Verhaftung und des Verschwindens von Irina Danilowitsch eingereicht. Auf der von der Organisation auf­gestellten „Rangliste der Pressefreiheit“ belegt Russland unter 180 Staaten Platz 155.

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