Männermagazin „Walden“ : Wo im dunklen Wald das große Abenteuer wartet
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„Ich ging in die Wälder, denn ich wollte wohlüberlegt leben; intensiv leben wollte ich“, schrieb Henry David Thoreau 1854 in „Walden“. Das gleichnamige Magazin empfiehlt Neoprenanzüge. Bild: dpa
Das Magazin „Walden“ ist etwas für Männer, die viel erleben wollen - draußen, in der Wildnis. Doch brauchen sie natürlich allerhand Schnickschnack, damit sie sich dort nicht weh tun. Und es schön bequem haben.
Zwei Jungs in einem Boot, die sich bei näherem Hinsehen nicht als Tom Sawyer und Huck Finn herausstellen, sondern als eher gesetzte Herren auf Paddeltour - mit dieser Titelillustration legt „Walden“ ab, das neue Magazin für den Mann. „Lass dich raus!“, fordert es von ihm und weiß: „Die Natur will dich zurück.“ Sieht so Gruner + Jahrs Antwort auf „Landlust“ aus, nur für männliche Leser? Oder markiert das pastellige, wie selbstgestempelte Layout auf mattem, schwerem Papier die Verwandtschaft zu „Flow“, dem Wohlfühl-Kreativgeschichten-Magazin für Frauen, die sich kuschelig retro einhäkeln lassen wollen?
„Walden“ ist nach „Flow“, das die Auflage der deutschen „Vogue“ übertrifft, der jüngste Zugang zur stetig wachsenden Familie von Special-Interest-Magazinen des Verlags. Sie lehren: Print hat es schwer. Aber in der Nische (Auflage hunderttausend Stück) geht noch was. Wo es heimelig wird und privat, wo der Mensch seinen Hund krault (Anleitung gibt das Heft „Dog“) oder der Mann noch ganzer Kerl sein darf und statt veganer Würstchen blutige Steaks auf den Grill wirft (die Legitimation dazu erteilt „Beef!“). Kurz, Gruner + Jahr schafft Magazine für Leser, die rauswollen aus dem Weltgeschehen. Nicht weit weg, nur dahin, wo gut hundert Magazinseiten mal kurz all das Böse da draußen wegstreicheln können: nach Hause. Romantiker würden sagen, dass wir ohnehin immer dorthin unterwegs sind.
Der Urahn aller Ökos
Da ist es nur scheinbar ein Widerspruch, dass „Walden“ scheinbar die Gegenrichtung antritt. Im Editorial schreiben die Chefredakteure Harald Willenbrock und Markus Wolff, sie hätten sich gefragt, warum es eigentlich kein Magazin gebe, in dem es „um diese Lust an Natur und Draußensein geht. Deshalb haben wir es einfach selbst gemacht.“ Was hübsch den populären Do-it-yourself-Gedanken aufruft und die wohl nun auf ewig mit Landleben gekoppelte Vokabel „Lust“.
Seinen Namen hat sich das Blatt bei Henry David Thoreau geliehen, dem amerikanischen Urahnen aller Ökos und Alternativen, der, wir erinnern uns, Mitte des 19. Jahrhunderts vor der Industriegesellschaft in eine selbstgebaute Blockhütte am See flüchtete und notierte, was später sein Buch „Walden“ wurde. Thoreau hackte Bohnen und las (antike Autoren im Original), seine Zeitgenossen fanden das Ich-Experiment ziemlich seltsam und manche auch reichlich unmännlich. Aber was Thoreau sich fragte, blieb aktuell: Was braucht ein freier Mensch? Genauer: Was braucht ein Mann? Und wie kann die Natur ihm dabei helfen, es herauszufinden?
Der gute Thoreau würde nicht schlecht staunen, blätterte er das von ihm inspirierte Magazin durch. „Fast jeder Luxus und viele der sogenannten Bequemlichkeiten des Lebens sind nicht nur absolut überflüssig, sondern geradezu Hindernisse für die fortschreitende Entwicklung des Menschengeschlechtes“, schrieb er. Was die „Walden“-Redaktion auf drei Doppelseiten als Lieblingsstücke für den Wald, den See und die Berge präsentiert, huldigt der Manufactum-Ästhetik - und dürfte sämtlich in die Kategorie überflüssiger Luxus fallen: Outdoor-Kocher (370 Euro), Holzbogen (650 Euro), Gusseisenpfanne für Rösti (47 Euro) mit passendem Aufgeblöffel (95 Euro). Einfach so raus in die Natur? Lieber nicht. Lieber mit komplettem Hausrat wie von anno dazumal vor der digitalen Gegenwart in die Gegenwelt fliehen. Das erinnert freilich eher an Schäferspiele im Garten von Versailles als an Jack London.