Abschied vom Musiksender : Wir sagen auf Vivasehen!
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Die später um sich greifende Abo-Abzocke mit den Jamba-Klingeltönen und sich ständig wiederholende amerikanische Datingshows haben schon länger nichts mehr mit "Musik-Fernsehen" zu tun. Viva hat mich aber vor allem in meiner frühen Jugend geprägt und mir gezeigt, was Musik für ein junges Leben bedeuten kann – in einer Zeit, als sich die Lieblingssongs nicht per Knopfdruck abspielen ließen. (Aylin Güler)
Tanzkurs und Talkshow
Viva liegt auf 14. Und zwar auf der Fernbedienung unseres ersten Fernsehers, jedenfalls des ersten, bei dem auch ich mal die Sender aussuchen durfte. Das ist mehr als 20 Jahre her, und es sagt einiges über Vivas Bedeutung aus, dass der Sender in meinem Kopf immer noch die Nummer 14 hat. Denn Viva hatte das Musikvideo zu dem Lied, das man schon seit zwei Wochen im Radio hörte. Viva gab den Musikern ein Gesicht: Ach, so sieht der Typ aus, der „Boombastic“ singt! Viva war Britney Spears und das Video zu „Oops!...I Did It Again“, das die Tanzszene oft genug zum Nachmachen im dunklen Kämmerlein wiederholte – linker Arm auf Brusthöhe, Hand hochstellen, rechter Arm etwas darüber, Hand abwinkeln, dass eine Box vor dem Herzen entsteht, beide Hände im Herzschlag von der Brust wegdrücken. Viva hat all die Lieder endlos wiederholt, was dafür sorgt, dass wir heute beim Karaoke so textsicher sind. (Und zwanzig Jahre später den englischen Text wirklich verstehen.)
Ja, Viva bringt peinliche Erinnerungen hoch, und, ja doch, peinliche erste Lieblingslieder. Aber Viva war auch und vor allem Sarah Kuttner. Sarah Kuttner hatte eine Late Night Talk Show, als Frau. Dank Sarah Kuttner entdeckte ich Roger Willemsen, Sarah Kuttner hat Adam Green in mein Leben gebracht. Sarah Kuttners Sidekick Sven Schumacher hat „Aufstehn, aufeinander zugehn“ viral gehen lassen (für damalige Verhältnisse). Und gemeinsam mit Sarah Kuttner habe ich allen Hatern da draußen / allen Lackaffen da oben den Stinkefinger gezeigt. Sie, weil ihre Show eingestellt wurde. Ich, weil: Post-Pubertät halt. (Manon Priebe)
„Was kostet einmal Nageln bei Ihnen?“
Wenn ich an Viva denke, dann vor allem an die erste Moderatoren-Generation: Nils Bokelberg, Mola Adebisi, Heike Makatsch, Stefan Raab. Bokelberg war der coole Junge mit unfassbarer hoher Mütze, einer, der sich als Grunge- und Alternative-Versteher wunderbar zur Projektionsfläche für einen Teenager wie mich eignete – mehr als der Hip-Hop-Freak Adebisi. Aber genau das war – neben der Tatsache, dass mit Viva endlich der erste deutschsprachige Musiksender auf der Bildfläche erschien – das Erfolgsrezept: Der Sender hatte für die meisten Teenager-Geschmäcker in Vor-Youtube-Zeiten etwas zu bieten.
Mädchen interessierten sich für die taffe und kluge Heike Makatsch, ich eher für Stefan Raab, dessen Low-Budget-Format „Vivasion“ damals bahnbrechend war. Mit einem Plastiksäbel schlug er sich zu Beginn jeder Sendung sinnloserweise durch eine Packpapier-Wand, spielte selbstkomponierte Jingles auf wahnwitzigen Kinderspielzeuginstrumenten und zeigte sich völlig respektlos gegenüber Popgrößen wie Falco, Dieter Bohlen und Vertretern des damals noch halbwegs ernsten Fachs, etwa dem ehemaligen Nachrichtensprecher Hans Meiser. Legendär seine oft grenzwertigen Straßenumfragen, bei denen er alte Leutchen (trotzdem liebevoll) vorführte, und seine Überfallinterviews wie mit einer Nagelstudio-Besitzerin und der Eingangsfrage: „Guten Tag! Was kostet einmal Nageln bei Ihnen?“ Das war ein neues Genre, zusammen mit „RTL Samstag Nacht“ konnte Viva die verstaubte Fernsehunterhaltung ein Stück weit runderneuern. Mit platten Witzen? Ja, aber mit gekonnten platten Witzen, die spontan waren oder zumindest so wirkten (was man von Rudi Carrells Humor, der damals die Unterhaltung dominierte, wahrlich nicht sagen konnte).
Später rutschte ich in die Zielgruppe von Viva II (oder auch Viva Plus) – ja, auch den Sender gab es einmal. Der war rockiger, alternativer, und spülte Moderatoren wie Charlotte Roche, Rocco Klein und Markus Kavka nach oben, die interessante Interviews führen konnten und inhaltlich mehr zu bieten hatten. Und auch Nils Ruf, der damals allerdings schon regelmäßig ein Stück drüber war. Der ehemalige MTV-Moderator Steve Blame war zeitweise als Programmchef mit dabei, der Anspruch war klar: Viva und Viva II wollten MTV Konkurrenz machen, was ja auch eingetreten ist, zumindest, was den Niedergang betrifft. Heute braucht keiner mehr MTV und auch keiner Viva. Die Einstellung ist daher konsequent – aber damals waren die Sender eine Offenbarung für Jugendliche. (Martin Benninghoff)